Kielwasser
vor ihren Behausungen und riefen laut in die Runde. So laut, dass Jung es im Auto hören konnte. Und dazwischen fuhren auch noch alte Toyota-Pick-ups, Mopeds und grüne Taxen ohne Türen auf den von dünnen Rinnsalen geteilten Lehmgassen.
»Wir parken hinter dem Markt, Bootsmann.«
»Da stinkt es fürchterlich, Herr Kap’tän. Ich weiß einen besseren Platz für uns, wenn Sie gestatten.« Das waren heute die ersten Worte aus dem Mund des Fahrers und Jung erschrak fast. Er saß hinter ihm, abgeschirmt durch die hohe Rückenlehne des Sitzes, und hatte ihn völlig vergessen.
»Gut, machen Sie das. Sie wissen, wo wir hinwollen?«
»Jawohl, Herr Kap’tän. Kenn ich.«
Sie parkten im Schatten eines hohen Hauses im alten kolonialen Viertel der Stadt, vor einem Friseursalon. Die Gebäude waren noch unter französischer Regie errichtet worden. Jetzt waren sie heruntergekommen und schrien förmlich nach Farbe und Putz. Die alte Pracht war ihnen dennoch anzusehen. Die Erdgeschosse öffneten sich zur Straßenseite unter Schatten spendenden Kolonnaden. Die Stockwerke darüber umliefen überdachte Galerien mit kunstvoll gemauerten Fassaden. Die Ornamentik war orientalisch inspiriert, mit spitzen und runden Bögen auf leichten Pfeilern, feinen, fast zierlichen Steingittern und bunten Fensterläden dahinter. Wild angedübelte Satellitenschüsseln und Versorgungskabel störten allerdings die Imagination alter kolonialer Pracht.
Sie verließen ihr Fahrzeug und sahen sich um.
»Ich müsste mal dringend zum Friseur. Geht das hier ohne Gefahr für Leib und Leben, Herr Kap’tän?« Schumann schaute durch das vergitterte Glasfenster des Friseursalons auf schwere Sessel mit Nacken- und Fußstützen, die Jung an uralte Zahnarztstühle erinnerten.
»Kein Problem. Er und seine Familie kommen aus Pakistan. Ich kenne ihn flüchtig. Dennoch möchte ich Sie da drinnen nicht allein lassen. Bootsmann, Sie begleiten den Oberstaber.«
»Selbstverständlich, Herr Kap’tän. Wenn der Pakistani dem Oberstaber sein altes Rasiermesser an die Kehle setzt, werde ich neben ihm stehen, versprochen.«
Jung glaubte einen Anflug von Galgenhumor aus der Bemerkung des Bootsmanns herausgehört zu haben, den er ihm gar nicht zugetraut hatte. Sie trennten sich mit der gegenseitigen Versicherung, in der Saftbar über den Dächern Dschibutis wieder zusammenzutreffen.
Jungmann führte Jung die Straße hinunter in Richtung Markt. Sie betraten schließlich den dunklen, engen Treppenflur eines mehrstöckigen Hauses im Kolonialstil. Sie stiegen auf knarrenden Holzdielen, vorbei an einem Sportgym im ersten Stock, hinauf auf die Dachterrasse. Flechtmatten schützten die aufgereihten Stühle und Tische gegen die stechende Sonne. Jung erinnerte die Terrasseneinrichtung an eine italienische Eisdiele aus seiner Jugend. Er hatte immer gefröstelt, wenn er sie betrat, auch im Sommer. Aber hier wirkte die kalte Pracht einladend.
Sie waren die einzigen Gäste und setzten sich an einen Tisch am Geländer, der ihnen einen freien Blick über den Markt und die angrenzende Arhiba gestattete.
»Sehen Sie sich den Markt an. Und den Stadtteil, an dem wir eben vorbeigerollt sind. Und denken Sie an alles, was wir heute schon gesehen haben. Glauben Sie mir jetzt, dass die Suche nach Ihrem Mörder hier aussichtslos ist?«, begann Jungmann die Unterhaltung.
Eine junge Frau kam an ihren Tisch und begrüßte sie auf Französisch. Sie reichte ihnen eine Liste der Fruchtsäfte, die sie für ihre Gäste bereithielt. Sie bestellten sich Grapefruitsaft auf Eis für 5.000 Dschibuti-Franc, umgerechnet knapp zehn Euro pro Glas. Die junge Frau war schnell, brachte den Saft und kassierte sofort ab.
»Ich glaube Ihnen. Ich hatte keine Ahnung, was mich hier erwartet«, reagierte Jung nachdenklich auf Jungmanns Frage. »Im Übrigen hält er sich im Süden Somalias auf, wenn ich dem N 2 Glauben schenken darf.«
»Hat er ihn dort wieder aufgespürt? Ich erwähnte es damals im Flottenkommando schon einmal, Sie erinnern sich?«
»Ich erinnere mich, ja.«
Unter ihnen quirlte laut das Marktleben. Im Hintergrund stand eine Unzahl Lastwagen und Überlandbusse. Im Vordergrund reihten sich die Marktstände aneinander. Es waren ausschließlich Frauen, die hinter und vor ihren ausgebreiteten Obst- und Gemüseauslagen standen und sie laut und unablässig anpriesen. Die großen, bunten Tücher, die sie kunstvoll um ihre Körper und Köpfe geschlungen hatten, konnten ihr Gewicht und ihre runden Gesichter
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