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Kielwasser

Kielwasser

Titel: Kielwasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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nicht verstecken. Schwere Gürteltaschen hingen an breiten Lederriemen unter ihren Bäuchen. Jung fragte sich, woher ihre Waren kamen und wie sie ihr Geld verdienten. Denn der Markt quoll vor Menschen über, aber niemand schien etwas zu kaufen.
    »Wenn Sie mal nach links gucken, die enge Ladenstraße runter, an den vielen Hemden, Hosen und Schuhen vorbei, dann sehen Sie da ganz hinten, in der zweiten Reihe bei dem hohen Mast mit den Isolatoren und Kabeln, eine Seitengasse abzweigen. Das ist die einzige Gasse, die ich in der Arhiba bis heute betreten habe. Und auch nur in Begleitung von Franzosen«, bemerkte Jungmann.
    »Was hatten Sie dort zu tun?«
    »Ein paar Schritte die Gasse hinunter gibt es ein Restaurant, das die Franzosen gern besuchen. Sie hatten mich eingeladen. Es ist eigentlich mehr ein Schuppen mit Lehmboden und groben Bänken und Tischen. Es heißt ›Chez Jussuff‹ und gehört einem Jemeniten, der pfeifen kann wie ein Pirol. Er muss eine Autorität in der Arhiba sein. Die Franzosen stehen unter seinem Schutz. Er bewirtet sie gern. Bis jetzt ist ihnen noch nichts Schlimmes passiert. Es gibt keine Speisekarte. Alkoholische Getränke schenkt er auch nicht aus. Wir mussten unseren Tischwein selbst mitbringen. Er toleriert das, aber nur, wenn die Flaschen unter dem Tisch bleiben. Er serviert ausschließlich frischen Fisch aus dem Tagesfang. Der wird in der Salzkruste in Alufolie über dem offenen Feuer gebacken und kommt verkohlt auf den Tisch. Aber unter der schwarzen Kruste, köstlich, köstlich. Man verbrennt sich beim ersten Mal die Finger, denn Bestecke gibt es nicht. Es gibt Fladenbrot und ungeheuer scharfe Soßen. Bald hat man Übung darin, mit dem Brot den heißen Fisch aufzunehmen. Zusammen mit den höllischen Soßen wirklich einmalig.«
    Sie beobachteten versonnen das laute Treiben unter sich und schwiegen. Sie schwiegen so lange, bis sie ihre Gläser geleert hatten.
    »Wir könnten noch …«
    »Verzeihung. Ich habe genug gesehen und möchte gern zurück aufs Schiff«, unterbrach Jung sein Gegenüber.
    »Okay, kein …«
    Unter ihnen hörten sie einen scharfen Pfiff. Jungmann beugte sich über das Geländer und entdeckte den Bootsmann, der ihnen zuwinkte.
    »Wir sollten los. Die beiden sind fertig. Gehen wir.«
    Sie trafen die zwei Bootsleute am Auto und brachen in Richtung Hafen auf. Sie passierten den Hauptbahnhof La Gare Dschibuti Ville. Hallenartige Gebäude friedeten den Vorplatz ein. Sie beherbergten in ihrer Mitte ein überquellendes, offenes Nomadenlager. Frauen kochten an offenen Feuern, Männer und Kinder schliefen auf dünnen Decken am Boden, einige saßen auf niedrigen Schemeln und schnitzten an Stöcken herum. Andere gestikulierten wild und riefen sich laute Worte zu. Klapprige Ziegen mit überdimensionalen Eutern standen vor schütteren Strohhäufchen, abgerissene, räudige Hunde lauerten mit gierigen Augen am Straßenrand. Dazwischen versuchten wenige, zum Skelett abgemagerte, filzige Katzen todesmutig, einen Bissen zu erhaschen und den Schlägen und Tritten der Menschen zu entkommen. Beißender, säuerlicher Qualm lag über dem Platz und drang bis ins Auto.
    Jung musste plötzlich an seine Frau denken. Wie würde es ihr, deren Nase so empfindlich war, und die sich selbst gern einen Duftjunkie nannte, hier wohl ergehen? Ihn packte plötzlich ein grauenerregendes, lähmendes Entsetzen. Er hatte panische Angst. Ein paar 100 Meter weiter, als das Minarett der Moschee am Hafeneingang in Sicht gekommen war, hatte er sich wieder gefangen. Er atmete durch und schloss für einen Moment die Augen.
     

Tomi und Schumi
    Der Nachmittag war frei und sie wollten ihn nutzen, um den versäumten Schlaf nachzuholen.
    »Wir treffen uns nachher bei dir. Wir haben viel zu bereden«, verabschiedete sich Jung von Schumann nach dem Mittagessen.
    Die drei Decks hinauf in seine Kammer bereiteten ihm Mühe. Aber der Blick aus dem Bullauge auf das inzwischen azurblaue Meer war immer noch fantastisch und stimmte ihn versöhnlich. Gleichzeitig konnte er die Bilder vom Vormittag nicht wegschieben. Der Widerspruch war so eindringlich und unauflöslich, dass er nicht zu verdrängen war, schon gar nicht für ihn.
    Er schlief ein und wachte spät auf. Sogleich machte er sich auf den Weg zu Schumann. Dessen Kammer war eine auf wenige Quadratmeter komprimierte Dreizimmerwohnung. Ein findiger Handwerker hatte den beschränkten Raum bis in die kleinste Ecke genutzt. Alles Nötige hatte seinen Platz gefunden:

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