Kill Decision
nichts. Und hinter dem Ganzen steht keine einzelne Person oder Gruppe. Es ist der Fortschritt. Und der lässt sich von niemandem aufhalten.»
«Das ist kein Fortschritt. Es ist ein Rückschritt. Das war doch schon zur Genüge da. Machtkonsolidierung ist so alt wie die Menschheitsgeschichte. Macht in den Händen weniger. Das steht in fundamentalem Widerspruch zur Demokratie.»
«Man sollte doch meinen, Sie müssten froh sein, dass jetzt Maschinen Ihre Kriege für Sie führen können.»
«Wessen Kriege? Wer weiß denn bei einer autonomen Drohne, wer sie losgeschickt hat? Leute können sich heimlich eine Armee aufbauen und anonym ihre eigenen Kriege führen, mit Überwachungsdaten als Zielauswahlmechanismus. In dieser Hinsicht ist Amerika durch Drohnen besonders verwundbar, verwundbarer als so ziemlich jede andere Gesellschaft der Welt. Wir sind gerade dabei, Robotern mit dem Intelligenzniveau von Ameisen die Kontrollmacht über uns zu überlassen.»
Marta nahm einen Schluck Wein. «Tja, ich kann das wohl kaum verhindern. Und wie Sie selbst merken werden, gibt es da keine zentrale treibende Kraft. Es gibt nur … Interessen.» Sie hob die Augenbrauen. «Kann ich sonst noch etwas für meine Freunde von der Activity tun, Mr. Odin?»
Er sah sie wieder ausdruckslos an. Marta bildete sich einiges darauf ein, Menschen lesen zu können, aber dieser Mann war wie eine Steinsäule. Training vermutlich.
Der Mann förderte mit dem Geschick eines Tischzauberers irgendwoher eine Karteikarte zutage. Er trat auf Marta zu und legte die Karte vor sie hin, als er den Rest der zerstörten Drohne an sich nahm.
«Wenn dieses Überwachungssystem alles finden kann, werden Sie es für mich einsetzen.»
Sie schüttelte den Kopf. «Ich kann damit nicht herausfinden, wer hinter diesen Drohnenangriffen steckt, Mr. Odin. Ich dachte, ich hätte Ihnen erklärt, dass es keine einzelne verant–»
Er drückte ihr die Karte in die Hand. «Lesen Sie das. Ich will Abhördaten über sämtliche Personen, die in den letzten sechs Monaten diese spezielle Kombination von Chemikalien ge- oder verkauft haben.»
Marta seufzte und las die säuberlich ausgedruckten Wörter auf der Karteikarte. Sie sprach sie langsam vor sich hin. «Perfluormethylhexan … Dimethylcyclohexa…» Sie sah auf. «Was ist das?»
«Sie haben drei Stunden, um die Daten zu beschaffen. Wo, wann, wer.» Er deutete mit dem Kinn auf die Karte. «Ihre Leute sollen sie an den FTP-Share da auf der Karte schicken. Wir haben ihn gehijackt, also sparen Sie sich die Mühe, den Eigentümer anzugreifen. Wenn Sie nicht liefern oder irgendwelche Tricks versuchen, werte ich das als Ihre persönliche Kriegserklärung.»
Marta hob beschwichtigend die Hände. «Ich sagte doch, ich bin gern bereit, der Activity zu helfen, Mr. Odin. Und wenn diese Datenermittlung Sie weiterbringt, bitte sehr.» Marta hob ihr Weinglas wieder. «Aber Ihnen ist doch wohl klar, dass diejenigen, die tatsächlich mit dieser Sache zu tun haben, vielleicht nicht so erbaut über Ihren Besuch sein werden?»
Odin warf ihr noch einen letzten Blick zu, als er mit seiner toten Drohne in Richtung Wohnungstür verschwand. «Sie haben drei Stunden.»
Marta sah ihm nach, bis er weg war. Dann schaute sie sich die Liste noch einmal genauer an – und nahm ihr Handy.
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27
Machbarkeitsnachweis
Linda McKinney betrachtete eine fremde Welt durch den Schlitz ihres alles verhüllenden Niqab . Das restriktive Kleidungsstück fühlte sich an wie ein Schutz, etwas, wohinter sie sich verstecken konnte. Schließlich war Gaddani, Pakistan, ein Ort, der nie auf ihrer Reiseagenda gestanden hatte. Es lag etwa dreißig Meilen nördlich von Karatschi und war der drittgrößte Schiffsabwrackplatz der Welt – eine Industrie fast ganz ohne Schwermaschinen.
Vor ihren Augen rauschte jetzt ein hundert Meter langer rostiger Frachter auf den breiten Strand zu. Das Schiff lag hoch im Wasser, die Ladelinie sieben Meter über den Wellen. Durch die ermüdeten alten Stahlplatten zeichnete sich das innere Gerippe ab. Die Schrauben schäumten das Wasser auf, als der Frachter sich dem mit halbabgewrackten Schiffen, Kettenwinden, rostendem Altmetall und windschiefen Arbeiterbehausungen übersäten Strand näherte. Auf dem Sand reihten sich die Funkenkaskaden von Schneidbrennern bis in die Ferne. Scharen von Männern, ebenfalls mit Schneidbrennern, standen bereit, diesen Frachter in Empfang zu nehmen.
Mit einem hallenden, dumpfen
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