Kill Decision
hochauflösende Fotos vom Explosionsort. Sie scrollte hinab, fand Mengen von Information und einen weiteren sehr aktiven Kommentarbereich.
Angesichts all dieses Blutvergießens und Leids fühlten sich ihre Widerstände auf einmal kleinmütig und egoistisch an. Aber das Team hatte ja gezielt dafür gesorgt, dass sie diese Bilder sah, oder? Offenbar sollte ihr Beitrag zu dieser Operation partout darin bestehen, als Kanonenfutter zu dienen.
Sie schob sich vom Schreibtisch weg.
McKinney starrte an die Decke. Das kühle blaue LED-Licht des Weckers malte bizarre Schatten auf die Akustikplatten über ihr. Sie hörte das Rauschen der Luft in der Heiz-, Lüft- und Klimaanlage und ab und zu mysteriöse Geräusche ferner Aktivität – schwere Lastwagen, hallende Stimmen und das Klirren und Klingen von Metall. Sie versuchte sich vorzustellen, was anderswo in diesem geheimen Komplex vor sich ging. An diesem Ort, den es offiziell nicht gab und wo sie niemand, den sie kannte, je finden würde. Strikte Abschottung.
Die blaue Digitalanzeige auf dem Nachttisch lautete 01:47. Die Bettwäsche war frisch und roch neu. Die Matratze war fest. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sie sich wirklich sauber. Kein Staub und keine Schwüle hier unten, und das Bad war nagelneu. Das heiße Wasser schoss nur so aus der Dusche. Richtig gebündelt, könnte es wahrscheinlich einen Aufstand niederschlagen. Alles in ihrem Zimmer war skandinavisch kühl und funktional.
Sie setzte sich auf. Dieser ganze Ort fühlte sich einfach verkehrt an. Sie bekam nicht zu fassen, was genau ihr zu schaffen machte. Warum sie nicht schlafen konnte. Seit dem Drohnenangriff nicht geschlafen hatte. Sie ergriff die Fernbedienung und stellte den Fernseher an. Der Wetterkanal erschien: beruhigende Musik zu einer Liste von Städten in aller Welt und den zugehörigen Temperaturen. Nach wenigen Sekunden schaltete sie auf den ersten Kabelnachrichtensender in der Senderfolge.
Wieder wurde die Kriegstrommel gerührt, die Öffentlichkeit aufgefordert, verdächtige Beobachtungen zu melden. Weitere Einzelheiten zum gestrigen Anschlag in Washington, D.C. Aktualisierte Opferzahlen zum Kerbela-Agriff – 4300 Tote. Sie schaltete noch ein paar Sender durch. Überall die Nation-im-Belagerungszustand-Hysterie. Selbst die Werbung war für Pfefferspray und Alarmanlagen. Sie blieb auf einem Sender, wo eine Kongressabgeordnete aus Ohio vor dem Parlament sprach. «… überstürzt tiefgreifende Veränderungen zu vollziehen, die wir bereuen werden. Wir haben diesen Weg schon öfter beschritten, und unsere Sicherheit hat es nicht erhöht. Fünfundsechzig Milliarden Dollar im Lauf der nächsten vier Jahre für eine Flotte autonomer Drohnen zur Verteidigung unseres Landes. Wieder einmal Geld, das in Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur gesteckt werden könnte. Drohnen werden diese Anschläge nicht stoppen. Ja, vielleicht sind unsere Drohnen sogar die Ursache dieser Anschläge …»
McKinney warf die Bettdecke von sich und setzte sich auf die Bettkante. Die Nachrichten waren schon beim nächsten Thema, sie aber nicht. Sie stellte den Fernseher ab.
Vielleicht sind unsere Drohnen die Ursache dieser Anschläge.
Und fünfundsechzig Milliarden Dollar für Drohnen als akute Krisenmaßnahme. Die ultimative Geldmaschine – Drohnen konnten beides sein, der Heilsbringer und der Feind, wer sollte da je durchblicken? Fünfundsechzig Milliarden. Und das war vermutlich erst der Anfang.
McKinney stand auf und ging ziellos im Zimmer herum, fühlte den kalten Stein unter ihren Füßen. Warum sollte sie glauben, was die ihr erzählten?
Sie war Wissenschaftlerin, und in der Wissenschaft verlangte man Beweise für eine Hypothese. Die Arbeitshypothese hier war, dass es sich um eine von der Regierung gebilligte streng geheime Militäroperation zur Verteidigung gegen tödliche Drohnenangriffe handelte. Aber was stützte diese Hypothese? In den letzten zehn Jahren waren ein halbes Dutzend illegale, von verbrecherischen Elementen innerhalb des Militärs durchgeführte Operationen ans Licht gekommen – Ermordungen, Folter … Vielleicht waren diese Leute hier ja gar nicht beim Militär – vielleicht waren sie ja Agenten privater Firmen, die die Politik der Regierung beeinflussen wollten? Oder vielleicht auch einer ausländischen Macht? Was wusste sie denn wirklich?
Sie ließ die letzten achtundvierzig Stunden Revue passieren. Sie waren in einem Privatflugzeug hierhergeflogen, zu einem privaten Landeplatz
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