Kill Order
ein glimmender Docht, den man im Sand zertritt.
*
„Los“, brüllte Nikolaj.
Das Echo der Explosion verhallte. Sie kamen auf die Beine und begannen zu rennen, ihre Waffen im Anschlag. Die Hunde waren in einem Zwinger eingesperrt und warfen sich wie rasend gegen den Drahtzaun. Es war kein Mensch zu sehen. Im Innern der Baracke brannte Licht.
Rafiq drehte seinen Kopf zu Nikolaj, ihre Blicke trafen sich. Der Russe nickte ihm zu. Alles lief genau nach Plan. Rafiq sollte den Offizier übernehmen, während Nikolaj und Carmen die Sprengsätze im Lager verteilten.
Rafiq presste sich mit dem Rücken gegen die Wellblechwand, stieß sich wieder ab, umrundete die Ecke. Der Bereich vor der Tür war schwach erleuchtet. Noch immer war niemand zu sehen. Unglaublich, waren die wirklich alle zu der Detonation gerannt? Er näherte sich der braun gestrichenen Stahltür und trat sie auf. Das Türblatt krachte gegen die Wand.
Ein Mann in Uniform tauchte im Korridor auf und riss die Pistole aus dem Holster. Rafiq zog den Abzug durch, der Kolben hämmerte gegen seine Schulter. Die Projektile rissen kleine Blutfontänen aus der Brust des Mannes. Kurz überflutete Euphorie Rafiqs Bewusstsein. Ein paar Herzschläge lang gab er sich dem Gefühl von Überlegenheit hin. War’s das? Hatte er Mordechai erwischt? Er überlegte, ob er die Räume einzeln durchsuchen sollte und verwarf die Idee. Sie würden hier ohnehin gleich alles in die Luft jagen. Mit einem Ruck drehte er sich um und hastete aus dem Gebäude.
Im gleichen Moment tauchten zwei Soldaten an der anderen Hausecke auf. Rafiq ließ sich auf den Boden fallen und rollte zurück zur Tür, während sich neben ihm eine Spur von Geschossen in den Sand grub. Mit einem Sprung rettete er sich zurück ins Innere der Baracke.
Keuchend erhob er sich auf die Knie. Die Schüsse verstummten. Er bemerkte, dass er am Bein blutete. Hastig streifte er den Stoff hoch. Eine Schramme zog sich über seine Wade, nur ein Kratzer, ein Streifschuss. Es schmerzte kaum. Sein Blick heftete sich auf Mordechais Leiche, unter der sich eine Blutlache gebildet hatte.
Er schwitzte. Was sollte er jetzt tun? Sie hatten keine Zeit. Die übrigen Soldaten würden jeden Moment zurückkehren. Das Fenster auf der anderen Seite fiel ihm ein.
In diesem Moment eröffneten die Israelis wieder das Feuer. Kugeln durchschlugen das dünne Blech und bohrten sich in die Plastikabtrennungen auf der anderen Seite. Der Lärm brachte seine Ohren zum Klingeln. Er presste sich auf den Boden. Sein Herzschlag hämmerte ihm schmerzhaft in der Kehle. Der letzte Rest Euphorie verflog und ließ nur Panik zurück. Er kroch über den Flur und rannte gebückt in den Korridor. Dort stieß er eine Tür auf und taumelte in den dahinter liegenden Raum. Mit dem Gewehrkolben zertrümmerte er das Fensterglas, stemmte sich hoch und zwängte sich durch die Öffnung ins Freie. Ein Glassplitter riss ihm die Wange auf, aber auch das spürte er kaum. Hart landete er im Sand, hinter ihm stotterten automatische Salven. Ein paar Meter entfernt löste sich Nikolaj aus den Schatten, dicht hinter ihm war Carmen.
„Wo ist Khamal?“, stieß Rafiq hervor.
„Keine Ahnung.“ Nikolaj half ihm auf. „Bist du verletzt?“
Rafiq winkte ab.
„Mordechai?“
„Tot.“
Plötzlich sah Rafiq die Taschenlampen, die in der Dunkelheit auf und nieder tanzten. Er glaubte auch, gebrüllte Befehle zu hören, Wortfetzen, die der Wind herüber trug.
„Scheiße“, sagte Carmen. Sie rannten los. Von der anderen Seite tauchten die beiden Soldaten auf, die zuvor die Front der Baracke unter Feuer genommen hatten. Mehr Schüsse peitschten, Querschläger jaulten in die Nacht. Das Geheul der Hunde steigerte sich zu unerträglicher Kakophonie.
Rafiq stolperte und fing sich wieder. Sekunden später traf ihn ein Schlag zwischen die Schulterblätter. Er stürzte, seine Muskeln verkrampften. Keuchend wälzte er sich auf den Rücken. Der Nachthimmel drehte sich vor seinen Augen. Nik packte ihn am Arm und riss ihn hoch.
Ein entsetzlicher Schmerz raubte ihm den Atem und überlagerte alle anderen Empfindungen.
Carmen zündete die Sprengsätze.
Und der Horizont ging in Flammen auf.
7
Wa di Qadisha | Libanon, Gegenwart
Z
wei Tage nach seinem Besuch bei Pater Georg fuhr Nikolaj nach Ehden, um ein Paket vom Postamt abzuholen. Auf dem Rückweg fiel ihm der blaue Suzuki Geländewagen auf, der in Hawqa vor dem Haus des Mukhtar, des Dorfvorstehers parkte. Er erinnerte
Weitere Kostenlose Bücher