Kill Order
fragte sich, wie sie ihm auf die Spur gekommen waren. Wer genau hinter ihm her war. Wie viel sie wussten.
Derjenige, der Informationen über ihn sammelte, ahnte noch nicht, dass sein Zielobjekt Verdacht geschöpft hatte. Nikolaj wollte die Illusion so lange wie möglich aufrechterhalten. Wenn seine Verfolger sich unentdeckt wähnten, standen sie nicht unter Handlungszwang. Sie würden sich Zeit lassen, was ihm wiederum die Zeit gab, mehr über sie herauszufinden und sich, wenn nötig, rechtzeitig abzusetzen.
Er drehte den Wasserhahn zu, trat aus der Dusche und trocknete sich ab. Dampf beschlug die Spiegel. Er ließ sich auf ein Knie herunter und schob den Waschtisch zur Seite. Vorsichtig entfernte er die lockere Fliese und zog den Pappkarton heraus. Mit einer Hand blätterte er durch die Klarsichtfolien und entschied sich für Ahmed Abi-Hachem, den Beiruter Weinhändler. Er würde als Nicolá Martin reisen, aber Abi-Hachem war seine Reserve-Identität, falls etwas schief ging. Es war ein guter Pass, einer mit passender Legende, falls jemand die Angaben zu überprüfen versuchte. Zuletzt nahm er die Beretta aus dem Karton. Er wog sie kurz in der Hand, dann legte er sie wieder zurück zwischen die Papiere. Wer als Zivilist eine Schusswaffe bei sich trug, riskierte immer auch, damit erwischt zu werden. Noch war die Situation nicht eskaliert, deshalb war es sicherer, das Ding hier zu lassen. Falls die Umstände sich änderten, musste er sich eben anderweitig eine Waffe besorgen.
8
E
s war eine Situation, die Carmen unbedingt hatte vermeiden wollen. Rafiq hatte das Restaurant ausgesucht, ein kleines Lokal unweit der Beiruter Corniché mit einer Terrasse am Meer. Vom Wasser her wehte ein leichter Wind und brachte Kühle, so dass sie froh war, ihre Strickjacke mitgenommen zu haben. Weit entfernt blinkten die Lichter der Patrouillenboote.
Am Nachbartisch saßen zwei junge Leute und unterhielten sich leise. Der Mann hatte seine Fingerspitzen auf die Hand seiner Freundin gelegt.
Carmen fixierte das verglaste Windlicht, um Rafiq nicht direkt ansehen zu müssen. Sie fühlte sich überrumpelt. Der ausgezeichnete Weißwein, die Wellen, die sich unten an der Kaimauer brachen, der Nebel salziger Gischt, der vom Wind hoch auf die Terrasse trieb, das waren Details, die ihren Groll nur steigerten.
Zwei Kellner servierten Mezze, Vorspeisen in kleinen Schälchen. Als sie sich diskret entfernt hatten, blickte Carmen auf und sah Rafiq ins Gesicht.
„Okay“, sagte sie rau, „was soll der Scheiß?“
„Was meinst du?“ Er hob eine Augenbraue. Die Andeutung eines Lächelns kerbte seine Mundwinkel. Ohne Eile griff er nach der Weinflasche, um ihr einzuschenken. Sie machte eine diffuse Handbewegung. „Das alles hier. Willst du mit mir über alte Zeiten reden, oder was?“
„Keine Hintergedanken.“ Rafiq stellte die Flasche ab und hob die Hände. Sein Lächeln wirkte mit einem Mal frostig. „Alles ganz unverbindlich. Nur eine Einladung zum Essen. Aber wenn du das verwerflich findest, bitte, du kannst gern selbst zahlen, wenn das dein Gewissen beruhigt.“
„Arschloch“, murmelte sie.
„Wie du meinst.“ Sein Lächeln verblasste, während er sich halb von seinem Stuhl erhob. „Willst du gehen?“
„Setz dich wieder hin.“ Ihr wurde peinlich bewusst, wie deplatziert ihre Aggressivität war.
Er ließ sich zurück auf seinen Stuhl sinken. „Probier den Wein. Er ist sehr gut.“
Sie schüttelte den Kopf. Alles lief falsch. Eigentlich seit dem Moment, als Rafiq sie in der sicheren Wohnung empfangen hatte. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn hier zu sehen. Die Israelis zahlten ihr viel Geld, damit sie ihnen auf Abruf zur Verfügung stand, also hatte sie die nächste Maschine nach Paris und dann einen Anschlussflug nach Beirut genommen. Aber niemand hatte ihr gesagt, dass sie mit Rafiq arbeiten würde.
„Hat Lev dir schon erzählt, worum es geht?“, fragte er.
„Nein, hat er nicht.“
„Das dachte ich mir. Deshalb wollte ich mit dir essen. Damit wir darüber reden können, bevor er es dir sagt.“ Sie riss ein Stück vom Fladenbrot ab. Ihr Ärger verpuffte. Darunter fühlte sie nur noch Erschöpfung. „Sagt dir der Name Fabio was?“
„Sollte es wohl, wenn du so fragst.“
„Das Rosenfeldt-Attentat. Die Eröffnung des Jüdischen Museums in Berlin.“
„Ja, richtig.“ Das war durch die Nachrichten gegangen. Der amerikanische Senator, der von einem PLO-Killer erschossen worden war. Wirklich beweisen
Weitere Kostenlose Bücher