Kill Order
konnte es natürlich niemand, aber Israel hatte es als Rechtfertigung für eine Reihe von Vergeltungsschlägen gegen die Palästinenser benutzt. Was da genau gelaufen war, wusste sie nicht. Es hatte sie allerdings auch nicht besonders interessiert.
„Fabio ist das Pseudonym des Killers, den sie damals nicht fassen konnten. Die Behörden haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, aber er ist ihnen trotzdem durch die Lappen gegangen. Lev glaubt, dass sie den Mann nun in einem Bergdorf im Wadi Qadisha aufgespürt haben.“
„Warum schicken sie kein Team hin, das ihn umlegt?“, fragte sie kauend. „Kann ja nicht so schwer sein.“
„Lev will ihn aber lebend. Er denkt, dass es schwierig wird, ihn zu schnappen. Fabio ist so eine Art Legende.“
Sie sah ihm zu, wie er mit eckigen Bewegungen zu essen begann. Sein anfänglicher Gleichmut hatte sich verflüchtigt. Tatsächlich wirkte er, als bereite ihm etwas Unbehagen, das er aber nicht preisgeben konnte. Das war ein ungewöhnlicher Wesenszug an dem Mann, mit dem sie sieben Jahre lang geschlafen hatte. Rafiq war kein Grübler. Schwierigkeiten ging er direkt an, ohne sich mit komplizierten Abwägungen aufzuhalten. Das war nicht immer angenehm gewesen und sie hatte seine impulsiven Ausbrüche gehasst. Andererseits hatte es die Dinge vereinfacht. Man wusste immer, woran man bei ihm war. „Was ist das Problem?“, fragte sie.
Er schloss für einen Moment die Augen, holte tief Atem und stieß ihn wieder aus. „Sie konnten seine Identität nie herausfinden. Nach Berlin hatten sie die Vermutung, dass es sich um einen Maler namens Nico Delani handelt. Es gab keine brauchbaren Fotos, nur eine schlechte Aufnahme aus einer Überwachungskamera. Sie haben den Typen in Hawqa fotografiert und die Bilder durch den Computer geschickt. Es gab einen Treffer. Lev sagt, es ist Nikolaj Fedorow.“ Das ergab keinen Sinn. Aber er fügte keine weitere Erklärung hinzu. Er sah sie einfach an und wartete.
„Nikolaj ist tot“, sagte sie endlich. Sie versuchte, sich an sein Gesicht zu erinnern. Grüne Augen und sandfarbenes Haar. Seine Augenfarbe war ihr im Gedächtnis haften geblieben. Was noch? Abgetragene Jeans und ein Militär-Shirt in Tarnfarben. Das Lederbändchen mit der Silbermünze fiel ihr ein. Rafiq hatte ein Gegenstück besessen, bis zu dem Tag, an dem sie dem israelischen Militär in die Hände gefallen waren.
„Offenbar nicht“, schnitt seine Stimme in ihre Gedanken. „Lev sagt, er hat seinen Tod nur inszeniert und ist danach abgetaucht.“
„Nikolaj soll Fabio sein? Das ist Schwachsinn.“
„Ich weiß nicht.“ Er klang erschöpft. Sie starrte ihn an, während er an seiner Jacke nestelte und einen zerknitterten Umschlag hervorbrachte. „Sieh dir die Aufnahmen an und sag mir, was du denkst.“
Sie nahm ihm das Kuvert aus der Hand. Es enthielt nur zwei Bilder. Das erste Foto zeigte zwei Männer, einen davon in einer dunklen Priesterrobe. Auf dem anderen Abzug war das Gesicht des zweiten Mannes herausvergrößert. Sie hatten ihn im Halbprofil fotografiert, die Konturen unscharf, keine gute Qualität. Seine Augenfarbe ließ sich unmöglich bestimmen. Kamen ihr die Gesichtszüge bekannt vor? Sie konnte es nicht sagen. Ein kurzer Blick zu Rafiq sagte ihr, dass es ihm ähnlich ging.
Sie schob die Bilder zurück in den Umschlag. „Was sollen wir machen?“
Er zuckte mit den Schultern. Der Geste haftete eine seltsame Hilflosigkeit an. Eine Welle von Zuneigung stieg in ihr auf. Es kam überraschend und war nicht das, was sie geplant hatte. „Ich bin mir nicht sicher, ob Lev einen Plan hat.“
„Das ist, als ob man einem Geist begegnet, nicht wahr?“ Sie legte die Gabel beiseite und blickte an ihm vorbei aufs Meer. „Ich kann mich nicht mal an Niks Gesicht erinnern. Weißt du noch, wie sie uns gesagt haben, dass er zu ihnen gekommen ist, um ihnen diese Information zu verkaufen? Es war so bizarr. Als wenn das nicht mir passieren würde, sondern jemand anderem. Ich konnte mir nie vorstellen, dass er das wirklich getan hat.“
Rafiq setzte zu einer Entgegnung an, aber sie unterbrach ihn, weil sie noch nicht fertig war.
„Ich weiß, wir haben das tausend Mal diskutiert. Es heißt ja auch nicht, dass er es nicht getan hat. Es ist einfach nur, dass ich es mir nicht vorstellen konnte.“ Sie zögerte. „Ich frage mich, was passieren würde, wenn er mir plötzlich gegenübersteht. Vielleicht müsste ich entscheiden, ob ich schießen soll oder nicht. Vielleicht hängt die
Weitere Kostenlose Bücher