Kill Order
Die drei anderen Soldaten begannen nun gleichfalls zu schießen. Carmen duckte sich in den Fußraum. Sie bekam kaum etwas vom darauf folgenden Feuergefecht mit. Sie wusste nur, dass sie soviel Angst hatte, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Querschläger prallten von den Türblechen ab, ein Feuerstoß zertrümmerte das Seitenfenster auf der Fahrerseite.
Am Ende waren zwei Syrer tot, die anderen beiden schwer verwundet. Sie selbst hatte nur ein paar Schnitte von den Glasscherben davongetragen, aber der Anblick des eigenen Blutes versetzte sie in Panik. Rafiq hielt sie fest und wiederholte immer wieder, dass alles in Ordnung kommen würde. In Tel al-Zatar hatte man sie als Helden gefeiert, auch wenn Carmen später Gerüchte hörte, dass Khamal Ärger mit der Führung bekommen hatte, weil er sich von den Syrern hatte provozieren lassen. Jedenfalls war das der Abend gewesen, an dem sie mit Nikolaj und Rafiq Bruderschaft getrunken hatte und an dem sie eine Freundschaft besiegelt hatten, die unter anderen Umständen ein Leben hätte halten können.
*
Nikolaj machte kein Geheimnis um seine Abreise. Er wollte auf keinen Fall den Eindruck eines heimlichen oder überstürzten Aufbruchs erwecken. Sorgfältig verstaute er die Reisetasche und die Hüllen mit den Bildern im Pickup. Er zog die Wagentür hinter sich zu und ließ den Motor an. Sein Blick glitt über die Hauswand mit den blau gestrichenen Holzläden und über die Apfelbäume, während er sich fragte, ob er hierher zurückkehren würde. Ein Gefühl überwältigenden Bedauerns stieg in ihm auf.
Er schüttelte die Regung ab, legte mit einem Ruck den Rückwärtsgang ein und trat aufs Gaspedal. Die Hinterräder schleuderten Gras und Erde hoch und schoben den Wagen aus der Einfahrt. Er bremste hart, schaltete in den Leerlauf und stieg aus, um das Eisentor zu schließen. Es war früh am Morgen, das Gras feucht vom Tau und voller Spinnweben. Ein leichter Wind flüsterte in den Kronen der Bäume. Die Schönheit schmerzte ihm in der Kehle. Mit dem Fuß stieß er einen Apfel beiseite, dann schob er den Torflügel zu. Als er sich umdrehte, blendete ihn die Sonne. Das Apfellaub filterte die Strahlen zu einem flirrenden Vorhang aus Licht. Es war so still, dass er seinen eigenen Atem hören konnte.
Doswidanja , murmelte er. Auf Wiedersehen.
Er hielt beim Anwesen des alten Sarkis, des einzigen Mannes in diesem Ort, mit dem sich über die Jahre so etwas wie eine Freundschaft entwickelt hatte. Zwei große Hunde stürmten ihm entgegen, als er die Hoftür aufklinkte. Ihr Gebell schwoll ab zu einem freundschaftlichen Winseln. Er streckte ihnen die Hände entgegen und grub seine Finger tief in ihr verfilztes Nackenfell. Von irgendwoher drang ein metallisches Hämmern. Er trat weiter in den Hof hinein, die Hunde dicht an seinen Beinen.
„Sarkis!“, rief er. „Sarkis, bist du da?“ Es roch nach gedämpften Kartoffeln, nach Wollfett und schwach nach Schafstall. Er steuerte auf die Waschküche zu. Die Hunde umtänzelten ihn und brachten ihn fast zum Stolpern. „Sarkis, ich bin es!“
Das Hämmern verstummte. Der alte Mann, im Halbdunkel der Küche nur ein Schemen, lehnte eine Sense gegen die Wand. „Hab einen Stein erwischt“, erklärte er. „Schon das zweite Mal diese Woche.“ Er trat er aus der Werkstatt hinaus in die Sonne und streckte die schwielige Hand aus.
„Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“, fragte Nikolaj.
„Ja sicher.“ Der Alte bückte sich nach einem der Hunde und tätschelte seinen Kopf.
„Ich verreise. Ich werde eine Zeitlang unterwegs sein“
„Wohin fährst du?“
„Urlaub.“ Nikolaj breitete die Arme aus. „Sieh mich nicht so an. Ich lebe seit vier Jahren in diesem Land und habe noch nichts davon gesehen.“
„Aber wenn es dir an einem Platz gefällt, ist nichts Schlechtes daran, dort zu bleiben.“
„Ja ich weiß, du verreist nicht gern. Dabei würde sich deine Tochter bestimmt freuen, wenn du sie mal in Damaskus besuchen kämest.“
Sarkis schnaubte. „Soll ich dein Haus hüten?“
„Nein, du sollst etwas für mich auf deinen Dachboden legen.“ Nikolaj hob die Rollen mit den Bildern aus dem Wagen und trug sie hinüber zu einem Holztisch. „Das sind Gemälde, die ich für einen Freund von mir aufbewahre. Ich will sie nicht unbeaufsichtigt in meinem Haus lassen.“ Er machte eine Pause. „Es könnte sein, dass Leute nach Hawqa kommen, die sich dafür interessieren. Sie sollen nicht wissen, dass die Bilder hier
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