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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Operation davon ab. Wenn ich nicht schieße, entkommt er.“
    „Und wie würde deine Wahl ausfallen?“, fragte er sanft.
    „Keine Ahnung. Im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass es ein Problem wäre. Aber wenn ich ihm gegenüberstehe, könnten die Dinge ganz anders liegen. Wie ist es mit dir? Könntest du es tun?“
    „Ihn erschießen?“ Er legte den Finger gegen die Lippen. Der Anflug eines Lächelns glitt über sein Gesicht. „Das frage ich mich schon die ganze Zeit. Damals, als Lev mir die Fotos aus Kairo gezeigt hat, war ich froh, dass ich vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Ich konnte danach besser schlafen.“
     
    Die sichere Wohnung war hellhörig. Bei ihrer Heimkehr vom Essen tönte aus den geöffneten Fenstern unter ihnen arabische Popmusik. In der Nachbarwohnung lief der Fernseher. Lev Katzenbaum war nicht da. Sofia zeigte ihnen, wo sie schlafen konnten.
    Carmen warf ihre Jacke auf das schmale Bettgestell, nahm sich ein Glas Wasser und ging hinaus auf den Balkon. Sie ließ sich von den Geräuschen einlullen, dem Fernsehsprecher, der in leierndem Arabisch die Spätnachrichten vortrug, den Schritten der Fußgänger unter ihrem Fenster, den entfernten Verkehrsgeräuschen aus der Rue de Monot.
    Sie dachte an den Frühling 1990, die Waffenlieferung für Tel al-Zatar, ihr Basislager vor der Trümmerkulisse von Beirut. Sie hatte ihren einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert und war ein paar Wochen zuvor der PFLP beigetreten, einer militanten Splittergruppe der PLO. Anders als die islamistisch geprägten Gruppen wie Hisbollah oder Heiliger Jihad waren die Ziele der PFLP nicht religiös motiviert. Viele ihrer Mitglieder vertraten marxistisch-leninistisches Ideengut, dem auch Carmen anhing. Das mochte auch daran liegen, dass viele der PFLP – Mitglieder aus der europäischen Linkenszene stammten, so wie sie selbst.
    Das Ticket nach Beirut hatte sie ohne Rückflug gebucht, und ohne zu wissen, was sie erwartete. In München, wo sie bei Wein und selbst gekochtem Essen darüber phantasiert hatten, wie großartig es sein würde, endlich etwas zur Weltverbesserung zu tun , statt nur darüber zu reden, war es ihr als exzellente Idee erschienen, sich der PFLP-Guerilla anzuschließen und wahrhaftig für die Rechte der Palästinenser zu kämpfen. Sie war auch ein bisschen verliebt in den Typen gewesen, der die Kontakte in den Libanon hatte, zu den echten Rebellen. Vielleicht hatte sie ihm beweisen wollen, dass sie mehr drauf hatte als die anderen, deren linksrevolutionärer Geist schon einknickte, wenn sie für eine Demo früher aufstehen mussten. Sie wollte nicht länger die brave, angepasste Tochter ihrer biederen Eltern sein. Eine Mischung aus Naivität und tollkühner Mutprobe hatte sie in das Flugzeug steigen lassen. Und der Glaube, dass sie ja einfach zurückfliegen konnte, wenn es ihr nicht gefiel.
    Nach ein paar Wochen in einem Trainingslager in der Bekaa-Ebene, in denen sie eine überraschend anstrengende Grundausbildung im bewaffneten Kampf erhielt, wurde sie zusammen mit anderen Rekruten in das Lager Tel al-Zatar gebracht. Schon ein paar Tage später war sie einem Trupp zugeteilt worden, der zwei LKWs voller Waffen an der syrischen Grenze übernehmen und über die Berge nach Beirut schaffen sollte. Ihre Arabischkenntnisse waren dürftig gewesen, deshalb hatte sie sich gefreut, dass zwei Männer in ihrer Gruppe ebenfalls Englisch sprachen. Sie waren so jung wie sie selbst, aber schon eine Zeitlang dabei und besaßen Erfahrung mit dieser Art von Kurierfahrten. Ihre Namen waren Rafiq und Nikolaj, zwei Freunde, die sich so nahe standen wie Brüder.
    Die Übernahme der LKWs klappte reibungslos. Unter der Plane waren vernagelte Holzkisten festgezurrt, von denen die vorderen zwei Reihen bis oben hin mit Orangen gefüllt waren. Sie hatten sich als Bauern verkleidet und fuhren abseits der großen Straßen. Kurz vor Beirut wurden sie von einer syrischen Militärstreife angehalten. Carmen hatte auch später nicht verstanden, was schief gelaufen war. Eigentlich hatte die PLO keine Probleme mit den Syrern. Damaskus unterstützte sie zwar nicht direkt, duldete aber ihre Aktivitäten. Deshalb war es umso merkwürdiger, dass die Situation eskalierte.
    Es gab einen heftigen Wortwechsel zwischen ihrem Wortführer Khamal und dem Offizier der syrischen Patrouille. Carmen saß zusammen mit Nikolaj und Rafiq im zweiten LKW. Plötzlich fielen Schüsse. Der syrische Offizier brach zusammen und wälzte sich schreiend am Boden.

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