Kill Order
die Straße hinunter befand sich der Durchgang zu einer Ladenpassage mit einem Internet-Café. Dort würde sie warten, bis Katzenbaum ihr das Ziel nannte.
„Viel Glück“, sagte Rafiq.
„Danke.“ Sie schlug die Tür zu, überquerte die Fahrbahn und tauchte ein in den Strom der Passanten, die den Gehweg bevölkerten. Nach kurzer Zeit war sie in der Menge verschwunden.
*
Die Nacht senkte sich wie ein Tuch aus dunklem Samt über die Dächer und Straßen. Nikolaj zog die Schiebetüren zurück und öffnete die Fenster, um den Nachtwind ins Zimmer einzulassen. Am Horizont blinkten die Lichter der Schiffe, die weit draußen im Meer vor Anker lagen.
Er nahm den Fahrstuhl hinunter in die Lobby. Als er die Aufzugskabine verließ, glitt sein Blick über die Köpfe der Menschen. Eine Gruppe von Reisenden stand an der Rezeption. Drei der Sitzbereiche waren belegt. Nikolaj erfasste zwei Frauen, ein Ehepaar und einen einzelnen Mann, der auf einem Laptop tippte. Keiner von ihnen schlug einen Nerv in ihm an.
Im Eingangsbereich lungerten die unvermeidlichen Zeitungs- und Blumenverkäufer, jemand spielte Jazz auf dem Klavier in der Bar. Er trat hinaus auf die Straße und die Stimmung des Abends schlug über ihm zusammen, die gelblichen Straßenlaternen, elegant gekleidete Menschen, Unterhaltungen und Gelächter, das an ihm vorbeiflutete. Er hatte kein konkretes Ziel. Aus einer kleinen Garküche wehte arabischer Pop hinaus auf die Straße, zusammen mit dem Duft nach Falafel und gebratenem Huhn. Sein Blick streifte die Schaufenster, und instinktiv konzentrierte er sich nicht auf den Inhalt, sondern auf die Spiegelungen in den Scheiben. Weiter vorn gabelte sich die Straße.
*
„Er geht die Arslane Sinno Straße hinunter“, meldete sich Sami über das Handy.
„Halt Abstand.“ Ein paar Sekunden hörte Katzenbaum nur den Atem und die Schritte des Agenten.
„Er bleibt am ‚L’Okzidente’ stehen“, sagte Sami im Plauderton. „Okay, ich nähere mich ihm. Ich habe ihn gleich eingeholt. Scheiße, warum geht er nicht weiter?“
„Dann lauf an ihm vorbei zum Casablanca, setz dich an die Bar und warte.“
Lautes Hupen mischte sich in Samis Atemgeräusche. „Ich glaube, er studiert die Karte. Okay, noch zwanzig Meter. Fünfzehn.“
*
Carmen klickte sich ziellos durch die News auf der Yahoo-Startseite. Ein paar Jugendliche spielten mit aufgesetzten Kopfhörern. Im Fernsehen lief Nancy Ajram auf dem arabischen MTV-Ableger. Carmen versuchte sich auf die vor ihr liegende Aufgabe zu konzentrieren. In ihrem Magen kribbelte Adrenalin, die Aufregung, die immer am Beginn einer Operation stand. Und es war mehr als das.
Rafiq wollte das nicht wahrhaben, aber dieser spezielle Moment unterschied sich sehr wohl von anderen Momenten vor einem Erstkontakt. Sie wusste nicht genau, was sie erwartete, aber es fühlte sich wie Vorfreude an. Sie hatte darüber nachgedacht, an den Abenden zuvor, wenn sie im Bett lag und die Finsternis ihr die Illusion privater Abgeschiedenheit gab. Angst spielte nur eine untergeordnete Rolle. Sie fürchtete sich nicht. Sie trat nicht Fabio gegenüber, sondern Nikolaj Fedorow, dem stillen russischen Jungen, an den sie einst ihr Herz verloren hatte.
*
„Er geht weiter“, sagte Sami. „Er biegt nach links ab.“
„Das ist eine Sackgasse“, gab Katzenbaum zurück. „Da gibt’s keine weiteren Restaurants.“
„Ich stehe jetzt vor der Karte des L’Okzidente. Was soll ich machen?“
„Such dir einen Tisch, von dem aus du die Straße einsehen kannst und bestell dir was zu Essen.“
„Was, wenn er nicht zurückkommt?“
„Er kommt zurück. Da vorn geht’s nicht weiter.“
Die Verbindung brach ab. Zehn Minuten später klingelte es erneut.
„Liebling“, tönte es aus dem Handy, „wie lange brauchst du noch?“ Sami sprach Französisch mit einem leichten Akzent.
„Ist er im L’Okzidente?“, fragte Katzenbaum.
„Gerade angekommen.“
„Antworte mit Ja oder Nein. Außentisch?“
„Nein.“
„Kannst du sehen, wo er sich hingesetzt hat?“
„Ja, mehr oder weniger.“
„Vorn bei der Bar?“
„Ja.“
„Zweiertisch?“
„Ja.“
„Ist es sehr voll?“
„Nein, gar nicht.“
„Okay, bleib einfach da, bestell einen Salat.“
„Einverstanden, Schatz. Aber du weißt, ich hasse es, allein zu essen. Ich möchte nicht, dass du deinem Chef stets mehr Aufmerksamkeit schenkst als mir.“ Pause. „Ja, ich liebe dich trotzdem. Bis nachher.
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