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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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diese extremen Emotionen in ihr auflodern lassen. Nur Zuneigung in Gleichgültigkeit verwandelt. Und wussten sie denn, unter welchen Umständen er sie verkauft hatte? Was hatten sie selbst getan? Genau genommen hatten sie ein ganzes Volk verraten, eine ganze Idee. Einst hatten sie sich den Rebellen angeschlossen, um für die Freiheit Palästinas zu kämpfen und jetzt arbeiteten sie für die Israelis. Das war nichts, über das sie nachsinnen wollte. Lange starrte sie die Wand an, während sie versuchte, die Erinnerungen aus ihrem Kopf zu vertreiben.

14
     
    Südlibanesische Sicherheitszone | Februar 1992
     
    E
    s stank nach Ziegen und menschlichen Exkrementen.Die Höhlen waren verlassen, schienen aber von Zeit zu Zeit als Viehunterkünfte genutzt zu werden. Carmen hockte auf den Knien, die Arme um den Oberkörper geschlungen, und versuchte das Zittern zu unterdrücken. Ihre Zähne schlugen aufeinander, sie fror entsetzlich. Das war nur zum Teil auf die nächtliche Kälte zurückzuführen. Ihr Adrenalinpegel sackte ab und verursachte dabei Nachwirkungen, die den Entzugserscheinungen einer Droge vergleichbar waren. Rafiq hatte es ihr mal erklärt. Rafiq, der auf der Seite lag und sich bei jedem Hustenanfall vor Schmerzen krümmte. Auf seinen Lippen stand rötlicher Schaum, sein T-Shirt und die Jacke waren dunkel vom Blut. Es war an den Rändern getrocknet, doch immer noch sickerte mehr davon aus der Wunde.
    Nikolaj hatte ihn notdürftig verbunden und war nach draußen gegangen, um nach den Israelis Ausschau zu halten. Sie glaubten zwar, dass die Soldaten die Verfolgung aufgegeben hatten, aber sicher waren sie nicht. Es war damit zu rechnen, dass über kurz oder lang Verstärkung eintraf, und dann würden schwer bewaffnete Truppen die Gegend durchkämmen. Khamal war spurlos verschwunden. Und Rafiq verlor immer wieder das Bewusstsein. Seine Wachphasen wurden kürzer. Sie hatte das Gefühl, in einem irrwitzigen Alptraum gefangen zu sein. Noch immer verstand sie nicht, was eigentlich schief gelaufen war. Die ganze Aktion hatte kaum zehn Minuten gedauert. Im Nachhinein erschien es ihr wie eine Ewigkeit aneinander gereihter Schrecken. Apathisch realisierte sie, dass ihr die Details entglitten. Ihr Verstand blendete einfach die Bilder aus.
    Schritte näherten sich, Sand knirschte unter Stiefelsohlen. Zwischen den beiden Felssäulen, die den Eingang ihrer Höhle bildeten, tauchte Nikolaj auf. Der dünne Strahl seiner Taschenlampe tanzte über den Boden und blieb an Rafiqs Gesicht hängen.
    Rafiqs Augenlider waren geschlossen, doch sie zuckten, als Helligkeit sie streifte. Nikolaj schaltete die Lampe ab und ließ sich neben Carmen auf den Boden sinken. „Da draußen ist alles ruhig.“ Seine Stimme klang ausdruckslos. Er riss sich zusammen, wie immer. Obwohl sie wusste, dass er versuchte, ihre Panik nicht unnötig anzuheizen, machte es sie wütend.
    „Dann brauchen wir uns ja keine Sorgen zu machen!“ Ihre Worte hallten zitternd von den Wänden wider. „Ruhen wir uns noch ein bisschen aus und gehen dann nach Hause.“
    Nikolaj antwortete nicht.
    „Scheiße“, sie konnte das Schluchzen nicht mehr unterdrücken, „was sollen wir jetzt tun?“
    Ihre Kehle war geschwollen, Tränen liefen ihr übers Gesicht und sammelten sich in der Halsgrube. Rafiq hustete, Stoff schleifte auf Stein, als er sich bewegte. Sie tastete nach seinem Kopf, ihre Finger tauchten in klebrige Feuchtigkeit.
    „Wir brauchen ein Auto“, sagte Nikolaj. „Und andere Klamotten. Zehn Kilometer von hier gibt es ein Dorf, Shab’a. Ich hab’s mir auf der Karte angesehen, es ist auf der anderen Seite der Hügelkette.“
    „Die werden inzwischen überall Suchpatrouillen haben.“
    „Ich weiß nicht. Das Nest ist ziemlich abgelegen. Da führt nicht mal ’ne Straße hin.“
    „Wenn es auf der Karte eingezeichnet ist, dann kennen die Israelis es auch.“
    „Hast du eine bessere Idee?“
    Sie schwieg. Sie hatte keine bessere Idee.
     
    Viel später fragte sie sich, ob es nicht doch einen anderen Ort gegeben hätte, an den sie hätten gehen können. Wenigstens war der Eingang zur Höhle von Gestrüpp verborgen und von weitem unsichtbar. Das war sicher der einzige Grund, dass die Militärs noch nicht aufgetaucht waren. Ein paar Mal hatte sie Motorengeräusche gehört, aber nie war ein Fahrzeug in Sichtweite gekommen.
    Ein scharfer Wind fegte über die Ebene und zerrte an ihren Kleidern, wenn sie draußen stand, um Ausschau zu halten nach einem israelischen

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