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Kill Order

Kill Order

Titel: Kill Order Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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War es Angst gewesen? Schuldgefühle?
    Er hatte nie mehr etwas von ihr gehört. Aber er hatte auch nicht versucht, sie aufzuspüren. Nach der Flucht aus Megiddo war er in Europa geblieben und hatte viele Jahre lang keinen Fuß mehr in den Nahen Osten gesetzt, der mit so vielen traumatischen Erinnerungen belastet war.
    Und wenn Carmen lebte, was war dann mit Rafiq? Rafiq, der schnell Freundschaften schloss und der es verstand, Frauen mit Charme um den Finger zu wickeln? Rafiq, den er mit einem Lungendurchschuss in der libanesischen Wüste zurückgelassen hatte. Die Vorstellung, wieder greifbar vor Augen, machte ihn fast körperlich krank.
    Carmens Wagen blinkte und zog nach rechts.
    „Fahren Sie raus“, wies er den Fahrer an. „Bleiben Sie an dem blauen Ford dran, aber halten Sie Abstand.“
     
    Carmen und der hellhaarige Mann hielten sich fast zwei Stunden auf einer Baustelle auf. Danach kehrten sie zurück in die Innenstadt, gingen in einem kleinen Lokal essen und stellten den Wagen in der Tiefgarage eines Büroturms ab. Später am Nachmittag setzte Carmen ihren Begleiter am Monroe-Hotel ab.
    Nikolaj fühlte sich von Stunde zu Stunde besser. Vielleicht lag es daran, dass er nun der Jäger war und nicht länger eine Figur auf einem Spielbrett. Er hatte das Gefühl, das Geschehen wieder selbst zu bestimmen.
    Als Carmen ihren Wagen in einer kleinen Straße im Manara-Viertel parkte, waren seine Kopfschmerzen auf ein erträgliches Maß herabgesunken. Aus dem Taxi heraus beobachtete er, wie sie in einem Wohngebäude verschwand. Er wartete zehn Minuten, dann bezahlte er dem Fahrer eine großzügige Summe und stieg aus. Das Haus war ein Neubau, sechs Stockwerke hoch, spiegelnde Glasflächen und elegante Balkone. Er registrierte zahlreiche ausländische Namen auf den Klingelschildern. Im oberen Drittel der Tafel fand er, wonach er gesucht hatte. C. Arndt , in Messing geprägt.
     
    Kurz nach Einbruch der Dunkelheit verließ Carmen ihre Wohnung. Er beobachtete sie vom Fenster eines baufälligen Hauses auf der anderen Straßenseite. Der erste Schock über ihre Begegnung war abgeklungen. Zuerst hatte er einfach an ihrer Tür klingeln wollen, einem spontanen Impuls folgend. Dann war seine Vernunft zurückgekehrt und sein natürliches Misstrauen hatte ihn davon abgehalten. Er war weitergegangen und hatte die umliegende Gegend erkundet. Dabei war er auf das leer stehende Gebäude gestoßen, dessen Rückseite durch eine Explosion zerstört war.
    Carmen lief die Straße hinunter und bog in eine Quergasse. Dort gab es einen kleinen Laden, der Getränke, Obst und Tabak verkaufte. Er verließ seine Beobachterposition und stieg die geborstene Treppe hinab ins Torhaus. Er hoffte, dass sie nur Zigaretten holen und in ein paar Minuten zurückkehren würde. Direkt neben dem Torpfosten drückte er sich gegen die Wand, so daß die Straßenbeleuchtung ihn nicht erfasste.
    Zuerst hörte er das Klappern ihrer Absätze auf den Steinplatten, ein gleichmäßiges, lauter werdendes Stakkato. Er war froh, dass sie dieses Mal seine Seite der Straße benutzte.
    Als sie in den gelblichen Schein der Straßenlaterne trat, tat er zwei schnelle Schritte aus den Schatten und legte einen Arm um ihre Taille. Die andere Hand presste er ihr auf den Mund. Mit einer schnellen Bewegung zog er sie zu sich in die Einfahrt und stieß sie gegen die Wand. Zuerst war sie wie erstarrt, dann ging ein Ruck durch ihre Muskeln. Sie wehrte sich, versuchte sich zu befreien. Er presste seinen eigenen Körper gegen ihren Leib. Ohne die Hand von ihrem Mund zu nehmen, fing er ihre Handgelenke und drückte sie über ihrem Kopf gegen die Mauer. Sie keuchte, die Augen weit aufgerissen.
    „Ich habe nachgedacht“, murmelte er dicht an ihrem Gesicht, „ich hatte Unrecht. Wir scheinen uns doch zu kennen.“
    Sie stutzte für einen Moment, dann verdoppelte sie ihre Anstrengungen. Er verstärkte seinen Griff und rammte ihre Arme erneut gegen den Stein. Sie stammelte etwas Unverständliches. „Wenn du aufhörst, um dich zu schlagen, lasse ich dich los. Dann können wir vernünftig reden.“
    Ihre Augen weiteten sich.
    „Wenn du schreist oder versuchst abzuhauen, muss ich dich verletzen. Bleibst du ruhig, wenn ich die Hand von deinem Mund nehme?“
    Sie bewegte ihren Kopf, die Andeutung eines Nickens. Er löste die Hand von ihrem Gesicht. Sie holte tief Luft und stieß sie wieder aus. „Du tust mir weh“, sagte sie in schneidendem Tonfall.
    Er versuchte ein halbes Lächeln.

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