Kill Order
lächelte. „Das Paris des Nahen Ostens. Die Stadt war ein Juwel vor dem Krieg. Wissen Sie, ich kann Sie verstehen. Das ist eine Heimat, für die es sich zu kämpfen lohnt.“
„Das würde jeder über seine Heimat sagen. Egal ob es eine große Stadt ist oder ein kleines Dorf in den Bergen.“ Er fragte sich, warum Moshe Weiss nicht da war. Wusste der Alte, dass Katzenbaum allein mit ihm sprach? Hatte er ihn geschickt? Oder ging hier etwas anderes vor, das Rafiq nicht verstand?
„Wann sind Sie geboren?“ Katzenbaum berührte ihn leicht an der Schulter. „Haben Sie die Stadt kennen gelernt, bevor der Krieg ausbrach?“
„1970.“ Rafiq hatte das Gefühl, durch einen Schleier zu sprechen. Die Situation war so unwirklich. Hier saß er, die Beine ausgestreckt, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und plauderte mit seinem Folterknecht wie mit einem Freund im Kaffeehaus. Es war ein Moment voller Frieden, der sich so kostbar anfühlte, dass Rafiq sich fürchtete, ihn zu zerstören. „Ich war sechs Jahre alt“, sagte er, „als der Bürgerkrieg begann.“
Einen Tag später verlegten sie ihn erneut. Der neue Raum glich seinem alten Krankenzimmer mit dem Linoleumboden und den weiß gestrichenen Wänden. Es gab ein Bett und eine Toilette aus Edelstahl hinter einem Vorhang. Vor allem aber saß ein Lichtschalter an der Wand. Rafiq verspürte überwältigende Dankbarkeit, als Dunkel über ihm zusammenschlug. Er ahnte, dass es mit Katzenbaum zu tun hatte, mit ihrem Gespräch und mit der Tatsache, dass Weiss nicht dabei gewesen war.
Katzenbaum besuchte ihn von nun an häufiger. Er forschte nie wieder nach der PFLP, nach Waffenlieferungen oder den Namen der Führungsriege in Damaskus. Rafiq fragte sich, was geschehen war, aber wagte es nicht, Katzenbaum zu fragen. Er brauchte diese Atempause, brauchte sie unbedingt. Sein Geist war zermürbt, sein Körper zerschlagen, er litt unter Depressionen und heftigen Stimmungsschwankungen. Er wusste nicht, wie viel er noch aushalten konnte, ohne den Verstand zu verlieren, und ahnte, dass ihm ein vorübergehender Moment der Ruhe gewährt worden war, ein glückliches Innehalten. Diesen Zustand wollte er so weit wie möglich ausdehnen. Er fürchtete sich davor, in die Hölle der Verhöre zurückzukehren. Die Furcht wurde stärker, je länger die Ruhepause fortdauerte.
Seine Gespräche mit Katzenbaum wurden vertraulicher. Sie entwickelten sich zu einem Anker, an den er sich verzweifelt klammerte. Er verstand die Motive des Israelis nicht, aber bald spielte das keine Rolle mehr. Katzenbaum wurde sein Freund. Es kümmerte ihn nicht, dass er auf der anderen Seite stand. In den Momenten, in denen sie nebeneinander auf dem Boden saßen, rauchend und Kaffee trinkend, verband ihn ein enges Band mit Lev Katzenbaum.
Deshalb versetzte es ihn in Unruhe, als Katzenbaum eines Tages nicht auftauchte. Als nur der Wärter erschien, um die Mahlzeiten zu bringen. Rafiq fragte den Mann nach Katzenbaum, aber der Soldat zeigte keine Reaktion. Und dann passierte das, wovor er sich die ganze Zeit gefürchtet hatte. Moshe Weiss kehrte zurück. Und alles begann von vorn.
„Natürlich wusstest du davon!“, brüllte Weiss. Rafiq hatte den alten Mann noch nie so zornig erlebt. Die Lippen des Israelis bebten; kleine Speicheltröpfchen trafen Rafiqs Gesicht. „Ich schneide dir die Haut vom Leib! Wir brechen dir Arme und Beine! Was kommt als nächstes? Sag es mir!“
Rafiq war wie gelähmt vor Panik. Sie hatten ihm die Arme über Kopf an ein Leitungsrohr gefesselt. Die stählernen Handschellen schnitten in seine Haut. Er starrte Moshe Weiss an, ohne zu verstehen, was der Mann von ihm wollte. Einer der Soldaten rammte ihm den Gewehrkolben in die Nieren. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Seine Knie brachen unter ihm weg, seine Sicht verschwamm. Weiss blieb dicht vor ihm stehen.
„Was planen sie? Eine Bombe?“
Rafiq schüttelte den Kopf. Das war ein Irrtum, ein furchtbares Missverständnis. Sie wollten Einzelheiten über ein bevorstehendes Attentat auf den israelischen Tourismusminister wissen. Wie absurd, dass sie ausgerechnet ihn fragten. Er wusste nichts von Attentatsplänen. Das Verhör war ein totes Gleis. Es gab nichts, was er ihnen erzählen konnte. Aber sie glaubten ihm nicht.
„Ich habe Ihnen alles gesagt“, stammelte er, in einem vergeblichen Versuch, Weiss doch noch zu überzeugen. „Warum sollten die mich in ihre Pläne einweihen? Die würden doch nicht mal mit mir reden.
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