Kill Order
einem hasserfüllten Blick. Mit vorsichtigen Schritten watete sie durch das hohe Gras. Obwohl er damit rechnete, dass sie einen Fluchtversuch unternehmen würde, tat sie es nicht. Sie verschwand hinter ein paar Sträuchern und tauchte Minuten später wieder auf. „Haben wir was zu trinken?“, fragte sie.
„Wasser in Flaschen.“
„Toll. Ist fast wie Camping, was?“
Er schob sie in Richtung des Höhleneingangs, erleichtert, dass ihre Lebensgeister zurückkehrten. „Hör zu. Ich werde für ein paar Stunden weg sein. Ich besorge was Frisches zum Anziehen, was zu essen und Medikamente. Bis dahin“, er machte eine Kopfbewegung zu der Wand mit den Eisenkrampen, „wirst du es da noch eine Zeit aushalten müssen.“ Er bückte sich nach der Rolle mit dem Klebeband.
Ihre Augen verengten sich. „Frag doch, was du fragen willst. Frag es jetzt und dann lass mich gehen. Oder bring mich um, wenn es darauf hinausläuft. Das kannst du ja ziemlich gut, wie man so hört. Leute umbringen.“
Die leicht dahingesagte Bemerkung versetzte ihm einen Stich. Aber sie sprach nur die Wahrheit aus. Nichts von dem, was er getan hatte, ließ sich ungeschehen machen. Und zu behaupten, er hätte keine Wahl gehabt, war Augenwischerei. Eine Wahl gab es immer. Es kostete nur Mut, die Konsequenzen zu tragen.
„Also gut“, sagte er. „Warum nicht.“
Sie sah ihn ausdruckslos an.
„Du musst wissen, dass ich die letzten Jahre ein ruhiges Leben geführt habe“, fuhr er fort. „Aber jetzt ist jemand hinter mir her, und ich will wissen, wer es ist. Ich fahre nach Beirut und dort treffe ich ausgerechnet dich. Das ist ein ziemlicher Zufall, nicht wahr? Und dann stürmen diese Männer in deine Wohnung und versuchen mich umzulegen.“ Er machte eine kleine Pause. „Ich will eine Erklärung. Ich muss verstehen, wer diese Leute sind. Und wer du eigentlich bist. Für wen du arbeitest.“
Carmen biss sich auf die Unterlippe. „Keine Ahnung, wer die Killer gestern Abend waren. Wie dir vielleicht aufgefallen ist, waren die auch mir nicht wohlgesonnen.“
„Ach ja“, fügte er hinzu, fast wie eine Belanglosigkeit, obwohl es das nicht war. „Und dann wäre da noch Rafiq, aus dem Grabe auferstanden.“ Der auf ihn geschossen hatte, ergänzte er in Gedanken.
Eine schwer zu beschreibende Empfindung flackerte über Carmens Gesicht. Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne ein Wort über die Lippen zu bringen. Er wartete und beobachtete ihre Hände, die Finger, die sie nicht ruhig halten konnte.
„Wenn es nach dir gegangen wäre“, sagte sie endlich, „wäre er seit langer Zeit tot.“
„Wenn es nach mir gegangen wäre.“ Seine Stimme versagte. Seine Kehle fühlte sich rau an. „Als wenn ich eine Wahl gehabt hätte. Es ist damals nicht so gelaufen, wie wir uns das gedacht haben.“
„Sieht so aus. Aber letzten Endes ist ja alles zu einem guten Ende gekommen, oder?“ Sie zuckte mit den Schultern, eine unbeholfene Geste, wie bei einem Kind. „Wir sind am Leben, wir gehen unseren Weg. Und manchmal sterben dabei Leute.“
„Du weißt nicht, wie es war“, murmelte er.
„Ich weiß nicht, wie es war? Dann habe ich mir alles nur eingebildet? Sie haben uns aus diesem Felsloch gezerrt, weißt du? Nachdem du uns verkauft hast. Aber das war vielleicht auch gut so, sonst wäre Rafiq dort drinnen verblutet. Sie haben ihn wenigstens zusammengeflickt. Nik, ich kann dir versichern, dass es die Hölle war!“ Sie schrie beinahe. „Ist dir klar, was sie mit ihren weiblichen Gefangenen anstellen? Sie haben nicht so viele davon. Es ist die Sensation! Als Frau stehst du im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit.“
Gequält schloss er die Augen. Und öffnete sie wieder, weil es noch unerträglicher war, sie zu hören, ohne sie anzusehen.
„Verstehst du überhaupt, was du uns angetan hast?“ Ihr Gesicht war verzerrt, die Augen weit aufgerissen. „Und wofür? Für welchen Preis? Wie viel hast du bekommen?“
„Was?“
„Den Preis“, wiederholte sie. „Wie viel? Genug, um in Europa ein neues Leben anzufangen?“
Er schüttelte den Kopf und presste die Finger gegen die Schläfen. Das stimmte nicht, das war anders gelaufen. „Was haben sie dir denn erzählt?“
Sie schwieg.
Er packte sie bei den Schultern.
„Ich will das nicht weiter vertiefen“, murmelte sie. „Ich will nicht darüber diskutieren.“
„Wie du meinst.“ Sie wollte nicht an alten Wunden rühren. Nun, das konnte er verstehen. Das wollte er auch nicht. „Dann
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