Kill Order
bewusste Welt zurückkehrte, nahm er zuerst einen kahlen Raum um sich wahr. Er lag in einem Bett. Ein dicker Verband umspannte seine Brust. Sein erster Versuch, sich aufzurichten, scheiterte. Schmerz explodierte, er sackte zurück. Er schloss die Augen und hoffte, dass jemand kommen und ihm alles erklären würde.
Die Tage verstrichen quälend langsam. Tage zwischen Schlaf und wachem Dämmern, Tage in Einsamkeit. Manchmal tauchte ein Mann auf, der ihm etwas zu essen brachte und die Geräte überprüfte, an die er angeschlossen war. Es gab kein Fenster und keine Uhr. Rafiq verlor jedes Zeitgefühl. Er maß den Tag nach dem Rhythmus der Mahlzeiten.
Sein Zustand besserte sich allmählich. Er konnte das Bett verlassen. Stundenlang schritt er die Wände seiner kleinen Zelle ab. Schnell stellte er fest, dass die Tür verschlossen war. Er fragte sich, an welchem Ort er sich befand. Wer diese Leute waren. Von seinem Krankenpfleger erhielt er keine Antwort. Der Mann lächelte stets, wenn Rafiq ihn fragte, schien aber kein Wort zu verstehen. Was war mit Carmen und mit Nikolaj? Lebten sie?
Eines Tages betraten zwei fremde Männer den Raum. Sie sprachen Englisch mit schwergängigem Akzent. Der ältere der beiden, ein untersetzter, grauhaariger Mann, hieß Moshe Weiss. Er wirkte dominant und zugleich schwer durchschaubar. Der Name des anderen war Lev Katzenbaum. Er war deutlich jünger und machte einen sympathischen Eindruck. Weiss erklärte Rafiq, dass er sich in einem Militärhospital der israelischen Armee befand. Dass sie ihm das Leben gerettet hatten, weil er sonst in der Wüste verblutet wäre. Der Israeli machte deutlich, dass Rafiqs Leben vollkommen in ihrer Hand lag. Sie konnten entscheiden, ob er leben oder sterben würde.
Weiss war arrogant und hatte einen grausamen Zug um den Mund. Der andere, Katzenbaum, schien so etwas wie sein Assistent zu sein. Er redete kaum, aber manchmal zeigte sich der Anflug eines Lächelns in seinen Augen.
„Wir möchten eine Gegenleistung von Ihnen, Mister Abou-Khalil.“ Moshe Weiss starrte ihm in die Augen. „Eine Gegenleistung dafür, dass wir Sie nicht wie einen räudigen Hund erschossen haben. Verdient hätten Sie es jedenfalls.“
Woher wusste der Israeli seinen Namen?
Rafiq hielt dem stechenden Blick stand. Er antwortete nicht, sondern wartete darauf, dass Weiss sich erklärte. Während er auf dem Bett saß, nur mit einer hellblauen Stoffhose und einem dünnen Hemd bekleidet, fühlte er sich auf schwer greifbare Weise gedemütigt. Seine nackten Fußsohlen berührten den Linoleumboden. Weiss hatte auf dem einzigen Stuhl im Raum Platz genommen, die Arme lässig auf die Rückenlehne gestützt. Hinter ihm lehnte Katzenbaum an der Wand. Aber Katzenbaum war nicht derjenige, von dem die Bedrohung ausging.
„Sie sind ein Mitglied der PFLP“, stellte Weiss fest. „Das allein reicht aus, um Sie die nächsten zwanzig Jahre in einem Loch verrotten zu lassen. Und niemand wird sich einen Dreck drum scheren. Genau wie diese Frau“, er drehte sich zu Katzenbaum um, „wie heißt sie gleich noch mal?“
„Arndt“, half der jüngere Mann. „Carmen Arndt.“
„Ja genau, diese Verrückte aus Deutschland.“ Weiss zündete sich eine Zigarette an. „Wir hätten gern, dass Sie uns ein paar Dinge über Ihre PFLP- Freunde erzählen. Zum Beispiel, wer diesen Überfall auf den Checkpoint organisiert hat. Wer hat den Befehl dafür gegeben?“
Rafiq antwortete nicht. Er spürte, wie seine Füße und die Fingerspitzen kalt wurden. Jetzt wusste er, worauf das hinauslief. Die beiden Männer waren vom israelischen Militär oder von einem der Nachrichtendienste. Sie wollten, dass er jemanden verriet.
„Jetzt kommen Sie.“ Weiss’ Stimme klang so unbeteiligt, als würde er nach der Uhrzeit fragen. „Und sagen Sie mir nicht, das alles wäre ein Missverständnis. Ihr Freund Fedorow, dieser Russe, hat uns schon eine Menge erzählt. Machen Sie’s so wie er, helfen Sie uns, dann helfen wir Ihnen. Sie können sich das aussuchen. Entweder wird das sehr schmerzhaft für Sie, oder Sie entscheiden sich für Kooperation. Wir belohnen unsere Freunde, glauben Sie mir.“
Rafiq fragte sich, wie viel er aushalten konnte. Was war mit Nikolaj? Was hatten sie mit ihm angestellt? Was wollte der Alte ihm sagen? Wie schmerzhaft konnte so ein Verhör werden? Er hatte Geschichten gehört, aber niemals jemanden getroffen, der das bei den Israelis durchgestanden hatte und dann zurückgekehrt war, um davon zu
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