Killer im Kopf
Zeitpunkt gewartet, um zum Vorschein kommen zu können.
Dieser Anfall glich den anderen aufs Haar. Das Zittern, der Schweißausbruch. Die empfundene Enge im Fahrzeug. Es war schlimmer als in einer Zelle. Sie mußte weg, sie mußte raus, aber sie traute sich nicht, die Tür des Porsches zu öffnen und zu fliehen.
Sie blieb sitzen. Umgeben von ihrem eigenen Atem, der keuchend über ihre Lippen floh. Nicht nur das Gesicht, ihr gesamter Körper war in Schweiß gebadet!
Wo sollte das noch enden? Tatsächlich im Freitod?
Die Gedanken daran stiegen immer öfter in ihr hoch. Das Schlimme daran war, daß sie sich nicht mal erschreckte, als hätte sie sich schon daran gewöhnt oder wäre innerlich dabei, sich darauf vorzubereiten.
Sheila war beinahe soweit, daß sie den Tod schon als Erlösung in Betracht zog. Darüber hatte sie mit ihrem Mann nie gesprochen. Sie hatte versucht, diese Dinge mit sich selbst auszumachen.
Ein Klopfen riß sie aus ihren Gedanken.
Sheila tat zuerst nichts. Sie glaubte an eine Einbildung, aber das Klopfen wiederholte sich, und sie hörte auch die Stimme eines Mannes. Nicht weit von ihr und an der rechten Seite.
Sie drehte den Kopf.
Der Mann hatte sich gebückt. Und er trug die Uniform eines Polizisten, Sheila sah in sein Gesicht mit dem besorgten Ausdruck, und sie sah auch das Zeichen mit der Hand, das der Mann machte.
Sie verstand.
Wenig später fuhr die Scheibe nach unten. Zwischen ihr und dem typischen Londoner Bobby gab es keine Grenze mehr. Der Polizist grüßte und lächelte Sheila an. »Guten Tag, Madam.«
Sie nickte zurück. Dabei versuchte sie, ein Lächeln zu produzieren, was ihr allerdings schwerfiel. »Habe ich etwas falsch gemacht, Officer?«
»Nein, auf keinen Fall, aber Sie sind mir trotzdem aufgefallen.«
Sheila strich eine Strähne des blonden Haars zurück und spürte, daß sie feucht war. »Warum interessieren Sie sich dann für mich, Officer?«
»Wie soll ich es sagen?« Der Mann lächelte. Er gehörte zu der gütigen Art, was auch seinem Gesicht anzusehen war. »Sie haben auf mich den Eindruck gemacht, als hätten Sie Sorgen. Schwere Sorgen sogar. Große Probleme, mit denen Sie nur schwerlich zurechtkommen. Sie sind etwas – pardon, aber ist Ihnen nicht gut?«
»Da haben Sie recht.«
»Wußte ich es doch.« Die Stimme klang irgendwie zufriedener. »Soll ich einen Arzt rufen?«
»Nein, auf keinen Fall.« Sheila versuchte mit allen Mitteln, das Zittern zu unterdrücken. Sie hielt das Lenkrad dabei fest, als könnte es ihr Leben retten. »Sie haben recht. Mir war ein wenig unwohl. Ich muß wohl etwas Falsches gegessen haben.«
Der Bobby nickte. »Ja, das passiert schon mal. Kenne ich von mir und meiner Familie. Haben Sie es denn noch weit bis zu Ihrem Ziel?«
»Nein, das nicht.«
»Wenn Sie wollen, fahre ich Sie nach Hause.«
Ruhig, ganz ruhig, hämmerte sich Sheila ein. »Das ist zwar sehr nett gemeint, Mister, aber das brauchen Sie wirklich nicht. Ich bin schon in Ordnung, und ich werde die paar Meter auch allein fahren können. Mein Zustand hat sich schon gebessert.«
»Tatsächlich?«
»Wenn ich es Ihnen sage!«
»Gut, Madam, dann nichts für ungut.« Der Beamte grüßte und ging davon. Sheila blieb allein zurück. Sie sah den Mann noch im Außenspiegel, und schwere Atemzüge drangen aus ihrem Mund, die plötzlich endeten, weil Sheila von einem regelrechten Weinkrampf geschüttelt wurde. Sie konnte nichts dagegen tun. Die Tränen flössen wie Sturzbäche aus ihren Augen, und dies war ebenfalls nicht neu für sie. Das überfiel sie häufig während der tiefen Angst- und Depressionsphasen. Sie kannte es, nur sie kam damit nicht zurecht.
Nach vorn gebeugt saß Sheila im Wagen. Sie schüttelte den Kopf. Sie weinte. Die Hände verdeckten ihr Gesicht, und es dauerte Minuten, bis sie in der Lage war, die Arme wieder fallen zu lassen und nach vorn zu schauen. Sie sah die Scheibe verschwommen und mußte zugeben, daß der Bobby recht behalten hatte. In ihrem Zustand konnte sie nicht fahren.
Sie mußte noch einige Minuten warten. Das Fenster hatte sie nicht wieder hochfahren lassen, und durch die Öffnung drang ein kühler Lufthauch, der ihr Gesicht umfächerte.
Aus der Tasche holte sie ein Tuch, putzte die Tränen ab und schneuzte sich. Sie knüllte das Taschentuch zusammen, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Das halte ich nicht aus. Das stehe ich nicht mehr durch. Ich, ich werde noch verrückt!«
Sie stöhnte und hustete. Sie holte etappenweise Luft.
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