Killeralgen
Viertakt-Außenbordmotor lief flüsterleise, doch in Austins Ohren klang er wie ein lauter Rufer in einer Kathedrale.
Austin lenkte das Boot zu dem einmotorigen Wasserflugzeug, das ein paar Meter vom Ufer entfernt ankerte. Das Boot ging neben dem Flugzeug längsseits, und Austin kletterte auf einen Schwimmer, um einen Blick in das Cockpit zu werfen. Die Maschine war eine de Havilland Otter mit Platz für neun Passagiere. Auf drei Sitzen lagen Tauchausrüstungen, wodurch Lessards Beobachtung, dass das Flugzeug als Tauchplattform benutzt wurde, seine Bestätigung fand. Austin kehrte ins Boot zurück und ließ den Blick am Ufer entlangwandern. Nichts rührte sich im grauen Dämmerlicht. Er steuerte das Boot am Ufer entlang, ging damit hinter einem Felsvorsprung in Deckung. Dann begannen er und Zavala den langen Aufstieg zum Kraftwerk.
Sie hatten nur leichtes Gepäck, das aus einem Trinkwasservorrat, konzentrierter Kraftnahrung, Pistolen und Reservemunition bestand. Trotzdem war es bereits dunkel, als sie endlich vor dem Kraftwerk standen. Das große Eingangstor war nicht verriegelt. Bis auf das Summen der Turbine war es im Innern des Gebäudes völlig still. Austin drehte sich langsam um die eigene Achse, während er in der Eingangshalle des Kraftwerks stand und seine Ohren sich auf das bienenkorbgleiche Summen aus dem Innern des Berges konzentrierten. Seine blauen Augen verengten sich.
»Irgendetwas stimmt hier nicht«, sagte er zu Zavala. »Die Turbine läuft.«
»Das ist schließlich ein Elektrizitätswerk«, sagte Zavala.
»Ist es da nicht völlig normal, dass Generatoren in Betrieb sind?«
»Unter normalen Umständen ja. Aber Lessard erklärte mir am Telefon, er wolle versuchen, die Turbine abzuschalten. Der Stromausfall würde in der Zentrale einen Alarm auslösen, und sie würden jemanden losschicken, der nach dem Rechten sehen soll.«
»Vielleicht hat Lessard es sich anders überlegt«, sagte Zavala.
Austin schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Ich hoffe nur, dass sonst niemand es sich anders überlegt hat.«
Nachdem sie das Büro und die Wohnquartiere überprüft hatten, verließen Austin und Zavala die Halle und gingen zum Kontrollraum. Vor der Tür blieb Austin stehen. Alles war still, aber sein sechster Sinn sagte ihm, dass sich jemand im Kontrollraum aufhielt. Er zog seine Pistole, gab Zavala ein Zeichen, das Gleiche zu tun, und trat ein. In diesem Moment sah er Lessard. Der Betriebsleiter des Elektrizitätswerks sah aus, als ob er eingeschlafen sei, doch das Einschussloch in seinem Rücken erzählte eine andere Geschichte. Sein rechter Arm war ausgestreckt, seine Finger nur wenige Zentimeter von der blutbespritzten Reihe von Schaltern entfernt, die den Generator gestoppt hätten.
Ein Ausdruck mühsam unterdrückter Wut breitete sich auf Austins Miene aus. Er legte den stummen Schwur ab, dass jemand für den Tod dieses großzügigen Franzosen büßen müsste, der Austin in die Lage versetzt hatte, Skye und die anderen unter dem Gletscher eingesperrten Wissenschaftler zu retten. Er berührte Lessards Hals. Der Körper war kalt. Lessard war vermutlich getötet worden, kurz nachdem er mit Austin telefoniert hatte.
Die Tatsache, dass es unmöglich gewesen wäre, den Franzosen zu retten, tröstete Austin wenig. Er ging zum Computermonitor hinüber, auf dem eine schematische Darstellung des Tunnelsystems zu sehen war, und nahm davor Platz, um sich die unterschiedlichen Strömungsrichtungen des Wassers in den Tunnels anzusehen. Lessard hatte sich als wahres Genie erwiesen, indem er das Wasser aus den Gletscherbächen mittels eines komplizierten Systems von Umleitungen vom Observatorium abgeleitet hatte.
»Die Tunnel sind in unterschiedlichen Farben dargestellt«, erklärte er Zavala. »Die blinkenden blauen Linien zeigen die Tunnel, die mit Wasser gefüllt sind, und die roten Linien weisen auf zur Zeit trockene Kanäle hin.« Er tippte auf eine rote Linie.
»Das ist der Tunnel, den wir für die Rettungsaktion benutzt haben.«
Zavala beugte sich über Austins Schulter und folgte mit dem Finger einer gewundenen Route vom Zugangstunnel des Observatoriums zurück zum Kraftwerk. »Ein richtiges Labyrinth. Wir müssen mehrmals die Richtung wechseln.«
»Wir sollten eigentlich dort herauskommen, wo unser Freund Sebastian das Schleusentor gesprengt hat. Von dort ist es nur noch ein kurzer Fußweg bis zum Observatorium. Und jetzt die schlechte Nachricht: Wir müssen uns den Weg durch circa zehn bis
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