KillerHure
sein Mund auf. Nicht die Form seiner Lippen, die sehen recht durchschnittlich aus. Aber die Art, wie er jede Stimmung, jeden Gedanken, jeden inneren Impuls durch ganz leichte Veränderungen der Mundwinkel oder auch nur der Muskelspannung in dieser Gesichtsregion ausdrückt, vermittelt einen Eindruck von großer Sensibilität und emotionaler Tiefe. Beides verbirgt Thierry allerdings im Moment noch gut vor mir.
Er bewegt sich mit der selbstverständlichen Anmut von jemandem, der gern und viel draußen unterwegs ist oder Sport treibt, aber ohne die besondere Achtsamkeit, die auf ein spezielles Kampftraining schließen lässt. Er sieht gut aus, keine Frage. Etwas mehr als mittelgroß, sehnigschlank und von der Mittelmeersonne braun gebrannt. Alles in allem also durchaus mein Typ.
Warum reagiert dann mein Körper nicht auf ihn? Warum empfinde ich nicht die verbotene, prickelnde Vorfreude, die sonst meine Haut mit aufgerichteten Härchen versieht? Warum blinzelt das warme Pelztierchen zwischen meinen Beinen nur träge und zeigt sich nicht übermäßig interessiert?
Ich komme nicht drauf und schiebe dann all das erbost zur Seite. Vielleicht doch noch Nachwirkungen des gestellten Unfalls. Oder einfach normale Anspannung bei einem anspruchsvollen Auftrag.
»Sie haben Ihre Haare rot gefärbt?«, fragt Thierry nun.
»Ja. Ihre Tochter hat mich das auch schon gefragt.« Ich sehe ihn verwundert an und greife an mein Haar. »Habe ich es so schlampig gemacht, dass man es sieht?«
»Nein, das sieht ... natürlich aus«, beruhigt er mich und atmet einmal tief durch. »Es ist nur so, dass meine Frau rotes Haar hat. Natalies Mutter ...«
»Ist sie auch hier?«, frage ich arglos.
»Nein.« Er zögert. »Sie ist ... nicht gesund. Sie muss in einem Sanatorium bleiben. Ihr Geist ist ... verloren gegangen.«
»Oh.« Meine Bestürzung ist nur halb gespielt. In seinen Augen schimmert plötzlich so viel Schmerz, dass ich völlig automatisch eine Hand hebe und ihn am Arm berühren will, einfach so, von menschlichem Wesen zu menschlichem Wesen. Er aber zuckt vor mir zurück wie vor einer giftigen Wespe. Ich erstarre und lasse dann den Arm wieder sinken. Mein Herz pocht. Der Tausendfüßler windet sich. Was ist hier los? Was weiß ich nicht?
»Das tut mir sehr leid«, sage ich lahm und wende den Blick ab.
»Bitte verzeihen Sie«, murmelt er. »Die ganze Sache hat mich sehr getroffen. Trifft mich immer noch ...«
Ich nicke, ohne ihn anzusehen. Dann lastet ein ungemütliches Schweigen auf uns. Überhaupt nicht das Richtige, um aus dem noch schlafenden Keim der Situation ein erstes, zart romantisches Pflänzchen zwischen uns sprießen zu lassen.
»Mir geht es langsam besser, glaube ich. Ich habe schon wieder Hunger.« Vielleicht ist es ratsam, erst einmal zu den konkreten alltäglichen Fragen zurückzukehren.
Thierry grinst und breitet theatralisch die Arme aus.
»Unsere Vorräte sind ziemlich erschöpft!«, meint er. »Wir wollten auf der Rückfahrt einkaufen. Unten sind nur noch ein paar Spaghetti und einige Konserven.« Er überlegt kurz und mustert die Küstenlinie linker Hand. »Was halten Sie davon, wenn wir essen gehen? Es soll ein gutes neues Fischrestaurant in Cala Pi geben, da sind wir schon ganz in der Nähe.«
»Oh, das klingt toll!«, stoße ich hervor. »Ich liebe Fisch! Aber ich möchte Ihre Gastfreundschaft nicht über Gebühr in Anspruch nehmen.«
Erneut sieht er mich auf diese seltsam neutrale misstrauische Art an, als wolle er durch meine Augen in mein Gehirn sehen. Dann grinst er wieder und deutet eine Verneigung an.
»Aber nicht doch! Es wäre mir eine große Freude, heute mit zwei so hübschen Damen zu speisen!«
Ich gehe auf sein Spiel ein und neige huldvoll den Kopf. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, mein Lieber. Ich bin entzückt!«
Interessant! Zum ersten Mal deutet er an, dass er mich als Frau wahrnimmt. Das entspricht meinen Plänen. Aber der Tausendfüßler bleibt wachsam, er traut dem noch nicht.
Keine Stunde später sitzen wir im »Jorge«, einem gemütlichen, anscheinend ganz neu eröffneten Restaurant direkt am Hafen von Cala Pi. Die anderen Mittagsgäste sind bereits wieder gegangen, wir haben die ganze Terrasse für uns. Thierry hat den Fang des Tages geordert, heute Loup de Mer, außerdem für Natalie eine Cola und für uns einen leichten Weißwein von der Insel. Ich kenne die mallorquinischen Weine noch nicht und lasse mir den ersten Schluck genießerisch im Mund herumgehen, koste jede
Weitere Kostenlose Bücher