Killerwelle
Schläfen ergraut, und seine Augen versanken zunehmend in faltigen Tränensäcken. Doch er bewegte sich immer noch wie ein viel jüngerer Mann, als ob der Stress und die Hektik seines Jobs ihn eher frisch hielten, anstatt ihn mürbe zu machen.
»Sind Sie okay?«, fragte er. »Sie sehen ja aus, als wäre Ihnen ein Geist erschienen.«
Eunice hielt wortlos das Fax hoch und zwang Jackson, über den Tisch zu greifen, um es entgegenzunehmen. Er war als Schnellleser bekannt und hatte die Seite innerhalb weniger Sekunden überflogen.
»Das ist fingiert«, war seine Meinung. »Niemand kann an diese Informationen herankommen. Und der Rest ist das übliche dschihadistische Geschwafel. Woher kommt das?«
Er ließ das Blatt Papier auf den Schreibtisch flattern.
»Es ist eben gerade aus meinem Fax-Gerät gekommen, Mr. Jackson.« Obgleich sie ihn schon seit Jahren kannte, bestand sie beim Umgang mit ihren Vorgesetzten auf strenger Formalität. Jackson machte gar nicht erst den Versuch, sie von dieser Gewohnheit abzubringen.
Er ließ sich das für einen kurzen Moment durch den Kopf gehen, dann winkte er ab. »Ein Spinner, der Ihre Fax-Nummer kennt. So was passiert schon mal.«
»Schickt Ihnen etwa jemand anzügliche Fernschreiben?«, fragte der Präsident mit einem belustigten Lächeln.
Die ersten zwei Jahre seiner ersten Amtsperiode waren dem Mann kaum anzusehen. Er war hochgewachsen und hatte breite Schultern und eine derart fesselnde Stimme, dass sein Publikum ihm stets fasziniert lauschte, selbst wenn es mit seinen politischen Entscheidungen nicht zufrieden war.
Eunice Wosniak sprang auf. »Nein, Mr. President. So etwas ist es nicht. Ich, äh …« Ihre Stimme brach.
Der Präsident griff nach dem Fax, holte eine Lesebrille aus der Brusttasche seines Brooks-Brothers-Anzugs und setzte sie auf seine markante Adlernase. Er las fast genauso schnell wie sein persönlicher Berater. Im Gegensatz zu Jackson erbleichte der Präsident jedoch und bekam große Augen. Er griff in seine Seitentasche und holte ein Stück Plastik von der Größe einer Kreditkarte hervor. Sie war von einem NSA-Kurier ausgetauscht worden, kaum dass er seine Wohnung verlassen hatte. Es war eine allmorgendliche Routine, die sich niemals änderte.
Er brach ein Siegel auf und verglich die Ziffern im Innern der aufklappbaren Karte mit denen, die auf dem Fax zu lesen waren. Seine Hände zitterten.
»Mr. President?«, fragte Jackson mit besorgter Stimme.
Die kleine Plastikkarte hatte den Spitznamen das Biskuit. Seit der Kuba-Krise wurde sie dem Präsidenten allmorgendlich ausgehändigt und enthielt eine Reihe von Ziffern, die von einem abgesicherten Computer in der National Security Agency in Fort Meade zufällig ausgewählt wurden. Sie bildeten den Authentifizierungs-Code des Präsidenten, um Raketen mit Atomsprengköpfen zu starten.
Zweifellos waren diese Ziffern das bestgehütete Geheimnis der Vereinigten Staaten.
Und jemand hatte soeben den aktuellen Code des Tages ins Oval Office gefaxt.
»Les, trommeln Sie sofort den Nationalen Sicherheitsrat zusammen. Ich will ihn so bald wie möglich vollzählig bei mir sehen.« Auch wenn jemand, der die jeweiligen Codes kannte, niemals eine Kernwaffe in Marsch setzen konnte, war allein die Tatsache, dass die Biskuit-Codes kein Geheimnis mehr waren, der schlimmste Sicherheits-GAU in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Schon dies allein stellte die Schutzmaßnahmen aller anderen Bereiche der Nationalen Verteidigung in Frage.
Es dauerte gewöhnlich mehrere Stunden, bis sich der Nationale Sicherheitsrat im Situation Room, einem fensterlosen Bunker unter dem Weißen Haus, versammelte. Auf Grund vorher getroffener Reisearrangements waren die einzigen Personen, die an dem Treffen teilnahmen, der Vizepräsident, der Vorsitzende der Joint Chiefs, der Verteidigungsminister, die Außenministerin und, auf besondere Einladung, die Chefs von NSA und CIA.
»Lady und Gentlemen«, begann der Präsident, »wir haben es mit einer Krise zu tun, wie diese Nation sie noch nie zuvor hat bewältigen müssen.«
Er verteilte Kopien des Briefs, während er weitersprach. »Vor gut zwei Stunden wurde dieses Fax an Eunice Wosniak, meine persönliche Sekretärin, gesendet. Der darauf vermerkte Authentifizierungscode ist echt. Wir werden abwarten müssen, ob die geäußerte Drohung ebenfalls echt ist. Was die Forderungen betrifft, so müssen wir wahrscheinlich ausführlich darüber diskutieren.«
»Einen Moment mal«, sagte der
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