Killerwelle
Biss ein.
Die Schlange zielte direkt auf Lindas Unterarm und war etwa fünf Zentimeter davon entfernt, ihre Zähne einen Zentimeter tief in ihre Haut zu bohren, als Juans Hand sich um ihren Hals schloss und die unerhörte Kraft ihres sich streckenden Körpers nutzte, um den Stoß umzuleiten und die Schlange in den Dschungel zu schleudern.
Der gesamte Vorgang dauerte nur eine einzige Sekunde.
»Was ist passiert?«, fragte Linda. Sie hatte gar nichts gesehen.
»Glaub mir«, antwortete Cabrillo ein wenig außer Atem. »Das willst du gar nicht wissen.«
Linda zuckte die Achseln und wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu. In dem Zelt befanden sich noch andere Gegenstände – Proviantverpackungen, Waschzeug, weitere Kleider. Aber dort war keine Leiche, noch nicht einmal Blut. Juan griff über Lindas Schulter hinweg, schob Gegenstände herum und konzentrierte sich mehr auf das, was er nicht sah, als auf das, was ihm ins Auge fiel. Er schaute sich im Gras um, fand schließlich Soleils Satellitentelefon, oder zumindest das, was noch davon übrig war. Eine Kugel hatte das schlanke Hightech-Modul glatt durchschlagen. Er fand auch einige leere Patronenhülsen vom Kaliber 7.62mm. Sie waren zweifellos von einer AK-47 abgefeuert worden, jenem berüchtigten Beitrag der alten Sowjetunion zur weltweiten Gewalteskalation.
Leise rief er nach Lawless und Smith.
»Sie sind nicht hier«, informierte er sie. »Ich glaube, sie wurden überfallen und haben es geschafft, in den Dschungel zu fliehen. Die Angreifer filzten das Lager, nahmen sich, was sie brauchen konnten – offensichtlich Proviant, weil wir nichts Derartiges gefunden haben –, und verfolgten sie dann weiter.«
Smiths Gesichtsausdruck veränderte sich bis auf ein Zucken in seinen Augenwinkeln nicht im Mindesten.
Dieser Kerl ist wirklich aus Stein, dachte Juan.
»MacD, meinen Sie, Sie könnten sie verfolgen?«
»Einen Augenblick.« Lawless schlenderte dorthin, wo der Dschungel fast bis ins Lager reichte. Er ging auf ein Knie hinunter, untersuchte den Boden und danach die Zweige der Büsche in nächster Nähe. Er brauchte fast fünf Minuten, ehe er die anderen herbeiwinkte. Cabrillo hatte diese Zeitspanne genutzt, um die Oregon anzurufen und Max Hanley einen Lagebericht durchzugeben. Darauf hatte Max geantwortet, dass bei ihm alles ruhig sei.
»Sehen Sie das?« MacD deutete auf einen abgebrochenen Ast. Die Bruchstelle hatte sich grau verfärbt. »Das sieht in meinen Augen wie Sumach aus. Der Grad der Verfärbung verrät mir, dass der Ast vor einer Woche abgebrochen wurde, vielleicht auch schon vor zehn Tagen.«
»Und, können Sie sie verfolgen?«, wollte Smith wissen.
»Ich werde es versuchen, aber ich kann Ihnen nichts versprechen.« Er sah Juan an. »Haben Sie irgendwelche Schuhe oder Stiefel gefunden?«
»Nein.«
Lawless versetzte sich in den Geist von zwei verängstigten Personen, die um ihr Leben rennen. Sie würden einen möglichst geraden Weg wählen. Sie hatten keine Schuhe gefunden, was bedeutete, dass sie im Augenblick des Überfalls nicht geschlafen hatten. Demnach war es wahrscheinlich noch Tag gewesen, oder die Abenddämmerung war gerade angebrochen. Ja, und sie würden geradeaus rennen, denn die Verfolger könnten es sehen, wenn sie sich nach links oder rechts wandten.
Er drang in den Urwald ein und vertraute darauf, dass das restliche Team für seine Sicherheit sorgen würde, so dass er sich ausschließlich auf die Verfolgung konzentrieren konnte. Nach etwa zwanzig Metern im Dschungel fand er eine rote Stofffaser, die von einem Dornenbusch abgerissen worden war, und wusste, dass er sich auf dem richtigen Weg befand.
Weiter folgte er seinem Instinkt. Gelegentlich gab es deutliche Anzeichen dafür, dass eine Menschengruppe den Wald durchquert hatte. Und dann mussten sie einen halben Kilometer weit gehen, ehe sie irgendeinen vagen Hinweis fanden, gewöhnlich in Gestalt eines zerbrochenen Astes oder eines verschmierten und kaum erkennbaren Fußabdrucks. Der Morgen ging in einen heißen, dampfenden Nachmittag über. Sie machten keine Rast, um zu essen, sondern gaben sich mit Protein-Riegeln zufrieden, die sie mit dem Wasser aus ihren Rucksacktrinkbehältern hinunterspülten.
Cabrillo schätzte, dass sie mindestens fünfzehn Kilometer zurückgelegt haben mussten, als sie an eine Schlucht kamen, die die Landschaft wie ein Axthieb teilte. Auf ihrem Grund, nach seiner Schätzung gut dreißig Meter tief, schäumte ein Fluss, der sich um Felsbrocken herumwand
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