Killing Beauties: Thriller (German Edition)
Tropfende Eiszapfen hingen vom Dach. Schmelzender Schnee lag in Klumpen auf dem Rasen und türmte sich ein kurzes Stück dahinter in den von der Sonne unbeschienenen Ecken mehrere Zentimeter hoch. Lindsays Blick schweifte über die steinerne Treppe zur Veranda, dann zu der riesigen Holztür mit den dekorativen, sich überkreuzenden schwarzen Eisenstäben, die eine Glasscheibe in zehn mal fünfzehn Zentimeter große Felder unterteilten.
Im Innern, so erinnerte sie sich, direkt hinter dem Eingang, lag eine kleine Diele, die sich auf beiden Seiten zu großen Wohnzimmern hin öffnete. Jeder Raum hatte einen Kamin aus massivem Stein, einen Hartholzboden und dunkel vertäfelte Wände. In dem Zimmer zur Linken hingen Jagdtrophäen und Rotwildköpfe zu beiden Seiten der Feuerstelle; in dem Zimmer zur Rechten flankierte die präparierte Beute aus dem Tennessee River, je drei Fische, den Kamin. Die Räume oben hatte sie nicht gesehen, aber sie vermutete, dass sie ebenfalls Macho-Domäne, Frauen unerwünscht! schrien. Der Gedanke daran, Judd gegenüberzutreten, in diese kalten, topazgoldenen Augen zu blicken, hielt Lindsay davon ab, die warme Geborgenheit ihres SUV zu verlassen. Zum wiederholten Male sagte sie sich, dass sie ihn nicht liebte, dass sie ihn nie geliebt hatte. Sie hatte Mitleid mit ihm, wollte ihn trösten, versuchen, ihm zu helfen. Außerdem würde sich jede Frau von Judd sexuell angezogen fühlen. Er platzte bald vor Männlichkeit.
Während der vergangenen sechs Monate hatte sie sich mit unzähligen Selbstgesprächen dieser Art zu überzeugen versucht, dass sie für Judd Walker eine Mischung aus Anteilnahme und sexueller Begierde verspürte, nicht Liebe.
Also, wenn sie ihn nicht liebte, warum fürchtete sie sich dann so davor, ihm wiederzubegegnen?
Du kannst das nicht für immer vor dir herschieben. Steig aus dem Auto und klopf an die Tür. Stell dich deinen Ängsten. Beweis dir selbst, dass Judd nicht länger Macht über dich hat.
Nachdem sie ihre rote Strickmütze und die dazupassenden Handschuhe übergestreift hatte, knöpfte Lindsay ihre marineblaue Navy-Jacke zu, drehte den Zündschlüssel und öffnete die Wagentür. Als sie ausstieg, trat sie mit ihren schwarzen, flachen Lederstiefeln in Matsch, doch bis sie die Veranda erreicht hatte, hatte das nasse Gras den schlammigen Schnee schon wieder beseitigt.
Sie atmete tief ein, dann richtete sie den Blick auf die Eingangstür. Sie drückte die behandschuhten Finger durch und nahm all ihren Mut zusammen, dann hob sie die rechte Hand und klopfte. Einmal. Zweimal. Dreimal.
Keine Antwort.
Sie klopfte erneut. Kräftiger. Lauter.
Immer noch nichts.
Noch ein Klopfen. »Judd, wenn du da bist, lass mich rein. Ich habe Neuigkeiten für dich. Es geht um den Beauty-Queen-Killer-Fall.«
Stille.
Verdammt. Vielleicht war er nicht da. Vielleicht war er an einen unbekannten Ort verzogen. Ein Teil von ihr betete, dass das stimmte.
Lindsay drehte probehalber den Türknauf, doch nichts tat sich. Abgeschlossen. So viel dazu.
Sie ging zu dem nächstgelegenen Fenster und blickte durch eine feine Schicht aus Schmutz und Ruß ins Innere. Das linke Wohnzimmer lag im Halbdunkel, die Möbel waren noch immer mit Leintüchern bedeckt. Nachdem sie durch eine ebenso schmutzige Fensterscheibe das andere Zimmer überprüft hatte, ging sie die Veranda entlang und hielt an einer Seitentür, die durch einen engen Flur in die Küche führte. Sie drehte den Knauf, und zu ihrer Überraschung fand sie die Tür offen. Unverschlossen. Die Tür quietschte laut, als sie sie aufstieß. Zögernd betrat sie den dunklen Flur. Spinnweben bewegten sich an den Wänden.
»Judd, bist du hier?«, rief sie auf dem Weg in die Küche.
Keine Antwort.
Die Küche war leer, aber eine halb volle Kaffeekanne stand auf der Warmhalteplatte auf dem Tresen und eine schmutzige Tasse neben der Kaffeemaschine.
Er war da. Oben? Im Keller? Auf einem Spaziergang durch die Wälder?
Wenn er im Haus war, hatte er sie rufen hören. Außer er schlief oder war betrunken. Im ersten Jahr nach dem Tod seiner Frau hatte sich Judd regelmäßig in einen Dämmerzustand des Vergessens getrunken, aber das letzte Mal, als Lindsay ihn gesehen hatte, war er stocknüchtern gewesen. Mit einem betrunkenen Judd hatte sie leichter umgehen können als mit einem nüchternen Judd. Betrunken war er voller Hass und aggressiv, nüchtern war er apathisch und wie tot.
»Judd, wenn du hier bist, antworte bitte. Lass mich nicht im ganzen Haus
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