Killing Business. Der geheime Krieg der CIA (German Edition)
Um etwa neue Rekruten anzuwerben, griffen die Shabaab-Führer auch zu höchst skurrilen Mitteln; beispielsweise organisierten sie einen Talentwettbewerb in der Machart der TV -Show Deutschland sucht den Superstar , und auf einem von al-Shabaab betriebenen Radiosender wurde ein Ratespiel für Kinder und Jugendliche ausgestrahlt, bei dem unter anderem die folgende Frage beantwortet werden musste: »In welchem Krieg wurde unser Anführer Scheich Timajilic getötet?« Der – später tatsächlich überreichte – Hauptgewinn: eine Kalaschnikow. Und nachdem das US -Außenministerium Belohnungen für Hinweise auf den Aufenthaltsort der Shabaab-Führer ausgelobt hatte, verkündete ein Sprecher der Miliz vor mehreren tausend Somaliern, die sich in Mogadischu nach dem Freitagsgebet versammelt hatten, dass die Gruppe ihrerseits Belohnungen für Angaben zu den »Verstecken« hoher amerikanischer Politiker anbot: Derjenige, der al-Shabaab auf die Spur des »Idioten Obama« brachte, durfte sich auf zehn Kamele freuen, während es für sachdienliche Informationen zum Aufenthaltsort der »alten Frau Hillary Clinton« zehn Hähne und zehn Hennen zu gewinnen gab.
Angesichts weniger Optionen zur Inhaftierung von Terrorverdächtigen und noch weniger Lust auf umfangreiche Bodenoperationen in Somalia erschien in manchen Fällen die Ermordung von Zielpersonen weitaus unproblematischer als ihre Gefangennahme. Im September 2009 gelang dem JSOC ein echter Coup – man hatte präzise Informationen über den Aufenthaltsort von Saleh Ali Saleh Nabhan erhalten, einem kenianischen Mitglied der Qaida-Zelle in Ostafrika, die für die Anschläge auf zwei amerikanische Botschaften 1998 verantwortlich war. Nabhan, von dem man annahm, dass er der Qaida-Verbindungsmann zu al-Shabaab war, hatte offenbar vor, sich im Schutz eines Lastwagenkonvois von Mogadischu in die am Meer gelegene Kleinstadt Barawa abzusetzen, nachdem er sich zuvor monatelang nur innerhalb von Städten und dicht besiedelten Regionen bewegt hatte, wo amerikanische Luftangriffe unmöglich waren. In einer Videokonferenz, in der das Weiße Haus, das Pentagon, die CIA und das JSOC -Hauptquartier in Fort Bragg zusammengeschaltet waren, stellte Admiral McRaven den Teilnehmern die verschiedenen Einsatzoptionen vor. Am wenigsten riskant wäre es, Tomahawk-Marschflugkörper von einem vor der Küste liegenden Kriegsschiff oder Raketen von einen Militärflugzeug aus abzufeuern. Alternativ dazu könnten Navy SEAL s mit AH -6-Hubschraubern den Konvoi unter Beschuss nehmen, Nabhan töten und zum Beweis seines Todes vor Ort DNA -Spuren einsammeln. Abschließend präsentierte McRaven noch eine Variante von Option zwei: Statt Nabhan umzubringen, könnten die SEAL s ihn auch gefangen nehmen, in einen der Hubschrauber verfrachten und irgendwohin zum Verhör bringen. Präsident Obama entschied sich für das, wie er meinte, am wenigsten riskante Vorgehen: einen Raketenangriff aus der Luft.
Allerdings entwickelten sich die Dinge nicht wie geplant. Das JSOC traf gerade die letzten Vorbereitungen für die unter dem Decknamen »Celestial Balance« laufende Operation, als das für die Mission angeforderte Flugzeug eine Fehlfunktion der Raketenabschussvorrichtung meldete. Da die Zeit knapp wurde und Nabhan bereits auf dem Weg war, ordnete McRaven an, auf Plan B auszuweichen: Die auf einem Navy-Schiff vor der somalischen Küste abrufbereit stehenden Navy SEAL s sprangen in ihre Hubschrauber, flogen nach Westen in den somalischen Luftraum und nahmen den Konvoi unter Beschuss. Nabhan und drei weitere hochrangige Shabaab-Mitglieder starben.
Die Operation endete zwar mit einem Erfolg, doch für einige der an der Planung beteiligten Personen warf der Ablauf des Einsatzes mehrere unangenehme Fragen auf. Weil Plan A gescheitert war, hatten die Vereinigten Staaten sich zu dem außergewöhnlichen Schritt genötigt gesehen, eigene Soldaten in eins der feindseligsten Länder der Welt zu schicken. Aber warum hatten die Navy SEAL s, nachdem sie schon einmal dort waren, Nabhan nicht gefangenen genommen, statt ihn umzubringen? Mit ein Grund dafür war, dass man eine Festnahmeoperation für zu riskant erachtete. Aber das war nicht der einzige. Tatsächlich gaben die USA in Somalia generell Tötungseinsätzen den Vorzug. Oder, wie es eine an den Planungen der Operation beteiligte Person formulierte: »Wir haben Nabhan nicht gefangen genommen, weil wir gar nicht gewusst hätten, wohin wir ihn hätten bringen sollen.«
Michele
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