Killing God
du …« Er sieht sich abwesend im Zimmer um, dann schaut er wieder mich an. »Einen Job hab ich auch«, sagt er. »Verstehst du … einen richtigen Job. Von neun bis fünf und so … na ja, vielleicht nicht ganz von neun bis fünf.« Er grinst verlegen. »Ich liefere Möbel aus.«
»Möbel?«
»Ja … ist nicht gerade der spannendste –«
»Marthings«, sag ich plötzlich. »Marthings Möbel … das ist dein Lieferwagen, stimmt’s? Der blaue.«
Einen Moment sagt er nichts, senkt nur wieder den Blick und knibbelt abwesend an seinen Fingernägeln. Und als ich ihn anseh, merk ich noch was an ihm, das anders war: Ihm fehlt jede Vitalität. Er hat keine Energie. Keine Freude. Kein Leben. Ich meine, früher, als er noch mein Dad war, hätte er nie so leblos herumgesessen wie jetzt. Egal wie betrunken oder bekifft oder sonst was er war, er hat die ganze Zeit rumgezappelt und konnte nicht still sitzen, auch die Augen ruhten nie. Aber jetzt … tja, jetzt sitzt er da, total gebeugt und fast ohne jede Regung. Als ob nichts von ihm übrig wär. Oder nichts mehr
für
ihn.
»Du hast uns beobachtet, stimmt’s?«, sag ich zu ihm. »In deinem Lieferwagen … du hast Mum und mich beobachtet.«
Er sieht zu mir hoch. »Ich wollte nur … keine Ahnung. Ich wollte nur sicher sein, dass es euch gut geht, sonst nichts. Ich hab euch nicht
überwacht
oder so … ich hab euch nur … ichwollte euch nur
sehen
. Dich und deine Mum … ich konnte es nicht ertragen, euch nicht zu sehen.«
»
Du
konntest es nicht ertragen?«, sag ich wütend. »Und was ist mit uns? Was glaubst du, wie
wir
uns gefühlt haben?«
»Tut mir leid –«
»Nicht zu wissen, wo du steckst oder ob du überhaupt noch lebst … verdammt, Dad, ich mein – wir wussten doch
nichts
.«
»Ich hab nicht gedacht –«
»Du hättest uns wenigstens Bescheid geben können, dass du nicht tot bist. Verstehst du, ein Anruf, ein Brief …«
»Ich
bin
tot«, sagt er verständnislos.
»Was?«
»Ich wollte sterben. Nicht mehr weiterleben. Nicht nachdem … du weißt schon. Nicht nach dem. Aber ich konnte nicht … ich hab’s nicht geschafft. Ich konnte nicht zulassen, dass du mich noch mehr hasst.« Er senkt den Blick. »Und mich umzubringen, hätte sowieso nicht gereicht. Es hätte nichts geändert. Also hab ich mich bemüht, damit zu leben … Tag um Tag … ohne irgendwas, das mir den Schmerz nimmt … und das hat mehr in mir getötet als jedes Sterben.«
»Trinkst du nicht mehr?«, frag ich leise.
Er schüttelt den Kopf. »Seit ich gegangen bin, hab ich nichts mehr angerührt. Gar nichts. Keinen Alkohol, keine Drogen …«
»Und was ist mit Gott?«
»Nein«, sagt er und schluckt schwer. »Auch kein Gott. Es hat nie einen gegeben …«
»Was willst du damit sagen?«
Er seufzt. »Alles war immer nur ich, Dawn.
Ich
… egal, was ich war, egal, was ich bin … es hatte nie mit was anderm zu tun. Das ganze Zeug mit Gott war bloß … keine Ahnung. Nur eine weitere Ausrede, verstehst du … etwas … hinter dem ich mich verstecken konnte …« Er seufzt wieder und reibt sich das eine Auge. »Ich wusste nicht, was ich tat, Dawn. Ich
wusste
es nicht … ich meine, ich weiß nicht mal …«
»Was?«, sag ich scharf. »Du weißt nicht mal
was
?«
Er atmet schwer aus. »Tut mir leid … ich kann nicht … es ist zu spät. Ich kann es nicht wiedergutmachen.«
»Und wieso bist du dann hier?«, fauch ich ihn an. »Was
willst
du, Dad? Willst du, dass ich dir
vergebe
?«
»Ich könnte dich nie darum bitten, mir zu vergeben.«
»Tja«, sag ich garstig. »Vielleicht solltest du es wenigstens mal versuchen.«
»Ich verdiene nicht –«
»Ich red ja auch gar nicht davon, was
du
verdienst!«, schrei ich ihn an. »Ich red von
mir
! Von mir, Dad. MIR! Was glaubst du eigentlich, was
ich
verdien? Ich meine, du hast doch auch deinen tollen
Gott
um Vergebung gebeten, oder?
Ihn
hast du gebeten.«
Dad starrt mich nur an, in den Augen nichts als Verwirrung und Angst. Und ich kann nicht mehr wütend sein auf ihn. Ich
will
… ich will, dass er spürt, wie ich mich fühl, ich will, dass er mich versteht. Ich will, dass er versteht, was ich von ihm will. Aber er kapiert’s nicht. Er versteht nicht. Und ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er krank, tot, verblendet, verwirrt ist, einfach am Ende von einem Leben voll Drogen …
Ich weiß es einfach nicht.
Und ich weiß auch nicht, ob es einen Unterschied machen würde.
Du kannst nur sein, was du bist.
Ich kann ihn nicht
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