Kim Schneyder
klar, mit Überlegenheit natürlich.
Ich lehne mich also so entspannt wie möglich zurück, beginne hastig mit Bauchatmung und setze ein Lächeln auf, denn mir ist nicht entgangen, dass Dellbert jedes Mal, wenn er Luft holt, mit einem verstohlenen Seitenblick kontrolliert, ob ich auf sein Gekreische auch entsprechend reagiere.
Woran ich aber nicht mal denke, denn wie gesagt: Keine Löwen, keine Hyänen, also auch keine Pommes und kein Eis. So einfach ist das. Basta.
Damit liege ich auch richtig, was die Löwen und die Hyänen betrifft. Bloß, dass es da auch andere Feinde geben könnte, damit habe ich nicht gerechnet.
Als Erstes kommt eine alte Frau in einem dunkelblauen Kostüm mit einer violetten Einkaufstasche daher, die bei uns stehen bleibt. Sie sieht zuerst Dellbert an, dann mich, und meint schließlich kopfschüttelnd: »Immer das Gleiche, da schaffen sich die jungen Dinger Kinder an, aber kümmern wollen sie sich dann nicht um sie. Lieber lassen sie sich die Sonne ins Gesicht scheinen.« Nachdem sie ihre Kritik angebracht hat, trippelt sie mit grimmigem Gesichtsausdruck weiter. Ha, sie hat junge Dinger gesagt! Das verbuche ich dann mal als Bonuspunkt.
Als Nächstes kommt ein Pärchen, der Aufmachung nach Fans der Sechzigerjahre-Hippies, und sie sagt deutlich vernehmbar zu ihm: »Siehst du, wohin das führt, wenn man seinem Kind zu wenig Liebe gibt!«
Am liebsten würde ich denen sagen, dass das gar kein Kind – und schon gar nicht meines – ist, sondern ein hinterlistiger Dellbert, und dass der nicht Liebe will, sondern zehntausend Kalorien, aber da sind sie auch schon weitergegangen.
Schön langsam werde ich wirklich wütend, und Dellbert scheint das zu merken. Jetzt sieht es aus, als grinse er ein bisschen, und das, während er weiterhin mindestens hundert Dezibel erzeugt.
Dann eine Mutter mit drei quengelnden Kindern im Schlepptau: »Haben Sie den Jungen etwa geschlagen?! Das ist unerhört, am liebsten würde ich die Jugendfürsorge anrufen!«
Jetzt muss ich aber doch etwas antworten: »Ach, das wäre nett, ich habe leider die Nummer nicht, sonst hätte ich das schon selbst erledigt.«
Was natürlich höchste Empörung hervorruft.
»Also, das ist ja … das ist … unerhört!«, schnappt sie nach Luft. »Kommt, Kinder, gehen wir, mit so jemandem wollen wir nichts zu tun haben! Ihr könnt von Glück reden, dass ihr nicht so eine Mutter habt, das sage ich euch!« Damit treibt sie ihre Kleinen weiter, die ängstliche Blicke auf mich und mitleidige auf Dellbert werfen.
Und dieser Satansbraten registriert das natürlich und geht noch ein paar Tonlagen höher. Er klingt jetzt wie ein Schweinchen auf dem Weg zum Schlachter.
Ich registriere mit Unbehagen, dass sich mein Nervenkostüm unter dem Marathongeschrei langsam aber sicher aufzulösen beginnt. Mittlerweile schwitze ich wie ein Zwangsarbeiter in einem afrikanischen Steinbruch, was so nebenbei auch höchste Gefahr für mein Make-up bedeutet, und zu allem Überfluss kann ich fühlen, wie mein rechtes Augenlid ohne jede Vorankündigung plötzlich unkontrolliert zu zucken beginnt.
Abgesehen davon bin ich aber auch neugierig, was es mit der geheimnisvollen Nachricht dieser Nora auf sich hat. Nur kann ich im Moment keinen einzigen klaren Gedanken fassen, denn Dellbert schreit unverdrossen weiter.
Dann kommt auf einmal dieser Kerl des Weges. Breitbeinig baut er sich vor mir auf, mit aufgedunsenem Gesicht, Händen wie ein Holzfäller und riesigen Schweißflecken unter den Achseln. Ich mache mich schon auf die nächste Standpauke gefasst, als er plötzlich grinst.
»Na, Probleme mit dem Racker?«
Ich ziehe unwillkürlich den Kopf ein und nicke abwartend.
»Kenn ich«, stellt er fest. »Hab selber drei Jungs. Ich sag Ihnen, was da hilft: Ordentlich ein paar hinter die Löffel, und vorbei ist’s mit der Schreierei. Wollen wir wetten? Das hilft immer!«
Wie der Kerl aussieht, glaube ich ihm das aufs Wort, und auch Dellbert wird jetzt ein bisschen leiser. Immerhin ein Teilerfolg.
Aber ein Kind schlagen?
Ich bin grundsätzlich kein Freund von Gewalt, aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich selbst nicht die Kräftigste bin. Obwohl, mit Dellbert würde ich es schon aufnehmen …
Aber mich an einem Kind vergreifen?
Nein. Keine Chance, niemals, da brauche ich eigentlich gar nicht lange nachzudenken. Die Antwort ist ein entschiedenes Nein.
Dennoch, ohne es zu wissen, hat mir dieser gewaltbereite Fremde soeben den entscheidenden Hinweis
Weitere Kostenlose Bücher