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Kind 44

Kind 44

Titel: Kind 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Kinder sich für Briefmarken begeistert hätten, aber sie interessieren sich einfach gar nicht dafür.«
    Petja überlegte, ob er dem Mann sagen sollte, dass seine Kinder vielleicht einfach nur ein bisschen Zeit brauchten. Er hatte ja auch Zeit gebraucht, bis er ein gewissenhafter Sammler geworden war. Aber er war schlau genug zu erkennen, dass es für ihn von Vorteil war, wenn dessen Kinder sich für die Marken nicht interessierten. Also hielt er den Mund.
    Der Mann verließ den Pfad und marschierte ziemlich schnell durch das Unterholz. Petja konnte kaum folgen, so lange Schritte machte der Mann. Petja musste fast laufen.
    »Wie heißen Sie eigentlich? Ich würde meinen Eltern gern sagen können, wer der Mann war, der mir die Briefmarken gegeben hat. Nur für den Fall, dass sie mir nicht glauben.«
    »Mach dir um deine Eltern keine Gedanken. Ich schreibe ihnen einen Zettel und erkläre ihnen, wie du an das Album gekommen bist. Ich gebe ihnen sogar meine Adresse, falls sie die Geschichte nachprüfen wollen.«
    »Vielen Dank.«
    »Nenn mich doch Andrej.«
    Nach einer Weile blieb der Mann stehen, bückte sich und öffnete seinen Koffer. Petja blieb ebenfalls stehen und schaute sich nach der Datscha um. Er sah aber keine. Vielleicht mussten sie noch ein bisschen weiterlaufen. Während er Atem holte, schaute er hinauf in die kahlen Äste der hohen Bäume, die kreuz und quer in den Himmel ragten.
    ***
    Andrej starrte auf den kleinen Körper hinab. Aus dem Kopf des Jungen lief Blut und rann ihm das Gesicht hinunter. Andrej kniete sich hin, legte einen Finger auf seinen Hals und fühlte nach dem Puls. Der Junge lebte.
    Sehr gut. Er rollte ihn auf den Rücken und fing an, ihn wie eine Puppe zu entkleiden. Zuerst zog er ihm den Mantel, das Hemd, die Socken und die Schuhe aus, schließlich die Hose und die Unterwäsche. Er sammelte die Kleider in einem Bündel zusammen, nahm seinen Koffer auf und entfernte sich von dem Kind. Nach ungefähr zwanzig Schritten blieb er neben einem umgestürzten Baumstamm stehen. Er ließ die Kleider fallen, ein Häuflein billiger Klamotten. Dann stellte er seinen Koffer ab, öffnete ihn und holte ein langes Stück grobe Schnur heraus. Er ging zurück zu dem Jungen und band ihm ein Ende ans Fußgelenk. Er machte einen festen Knoten und probierte ihn aus, indem er an dem Bein des Jungen zog. Er hielt. Andrej ging zurück und wickelte dabei vorsichtig das Seil auf, so als wolle er eine Zündschnur für eine Packung Dynamit legen. Er kam an dem umgefallenen Baum an, verbarg sich dahinter und legte sich auf den Boden. Er hatte sich eine gute Stelle ausgesucht. Der Stamm lag so, dass Andrej, wenn der Junge erwachte, nicht zu sehen sein würde.
    Sein Blick folgte der Schnur von seiner Hand aus über den Boden bis hin zu dem Fußgelenk des Jungen. Er hatte immer noch reichlich Schnur in seiner Hand übrig, mindestens noch für fünfzehn Schritt. Er war mit seinen Vorbereitungen fast fertig und so aufgeregt, dass er pinkeln musste. Weil er befürchtete, den Moment zu verpassen, wo der Junge aufwachte, rollte er sich zur Seite, knöpfte sich den Hosenschlitz auf und erleichterte sich im Liegen. Als er fertig war, schob er sich von der feuchten Erde weg, korrigierte noch einmal seine Position und schaute, was der Junge machte. Er war immer noch bewusstlos. Es wurde Zeit für die letzten Vorbereitungen. Andrej nahm seine Brille ab, verstaute sie im Etui und ließ es in seine Jackentasche gleiten.
    Als er sich wieder umschaute, konnte er die Bäume, die Schnur und das Kind nur noch verschwommen erkennen. Er kniff die Augen zusammen, aber alles, was er sah, waren Umrisse, ein undeutlicher, hautfarbener Klecks, der sich vom Boden abhob. Andrej streckte den Arm aus, knickte von einem nahestehenden Baum einen Zweig ab und fing an, die Rinde abzukauen. Seine Zähne wurden braun und fühlten sich pelzig an.
    ***
    Petja schlug die Augen auf und konzentrierte seinen Blick auf den grauen Himmel und die kahlen Bäume.
    An seinem Kopf klebte Blut. Er berührte es, sah dann auf seine Finger und fing an zu weinen. Ihm war kalt.
    Er war nackt. Was war passiert? Er war durcheinander und traute sich nicht, sich aufzurichten, weil er Angst hatte, dann den Mann neben sich zu sehen. Bestimmt war er in der Nähe. Im Moment konnte Petja nur den Himmel sehen. Aber hier konnte er nicht bleiben, so nackt auf dem Boden. Er wollte nach Hause zu seinen Eltern. Er hatte seine Eltern so lieb und war sich sicher, dass sie ihn auch lieb

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