Kind 44
hatten. Seine Lippen zitterten, er schlotterte am ganzen Körper. Er setzte sich auf, sah nach links, sah nach rechts, wagte kaum zu atmen. Der Mann war nirgendwo zu sehen. Petja schaute hinter sich, dann zur Seite. Der Mann war verschwunden. Petja ging in Hockstellung und starrte in den Wald. Er war ganz allein. Erleichtert atmete er auf. Er verstand das zwar nicht, aber er wollte es auch gar nicht verstehen.
Suchend blickte er sich nach seinen Kleidern um. Sie waren weg. Nicht so wichtig. Petja sprang auf und rannte los, so schnell er nur konnte. Unter seinen Füßen knackten herabgefallene Äste, die Erde war nass vom Regen und dem geschmolzenen Schnee, und wenn seine Füße nicht gerade einen Ast zerbrachen, machten sie ein klatschendes Geräusch. Er wusste nicht, ob er in die richtige Richtung lief. Er wusste nur, dass er hier wegmusste.
Plötzlich wurde sein rechter Fuß zurückgerissen, als ob eine Hand sein Fußgelenk umklammert hätte. Petja verlor das Gleichgewicht, kippte vornüber und fiel zu Boden. Er nahm sich gar nicht die Zeit, wieder zu Atem zu kommen, sondern rollte sich sofort auf den Rücken und starrte hinter sich. Niemand zu sehen. Wahrscheinlich war er gestolpert. Gerade wollte er wieder aufstehen, als er das Seil sah, das um sein rechtes Fußgelenk gebunden war. Sein Blick folgte seiner eigenen Spur in den Wald hinein, und er sah, wie es sich über den Boden spannte wie eine Angelschnur, bis hin zu einem umgefallenen Baum etwa 40 Schritt weiter.
Petja riss an dem Seil und versuchte es sich über das Fußgelenk zu streifen, aber es war so fest, dass es ihm die Haut einschnitt. Die Schnur wurde wieder angezogen, diesmal fester. Petja wurde über den Waldboden geschleift, sein Rücken wurde ganz schlammig, dann blieb er wieder liegen. Er sah auf. Da war er. Der Mann stand hinter dem Baumstamm auf und zog ihn zu sich heran. Petja klammerte sich an irgendwelche Äste, grub die Hände in den Boden, aber es nutzte nichts. Er wurde immer näher herangezogen. Er konzentrierte sich auf den Knoten. Der ließ sich nicht aufmachen, und durchreißen konnte er das Band auch nicht. Seine einzige Chance war, es abzustreifen. Er schürfte sich die Haut am Fußgelenk ab, die ganze oberste Schicht war schon weg. Die Schnur wurde wieder angezogen, und diesmal schnitt sie ihm ins Fleisch. Er biss die Zähne zusammen, schreien würde er nicht. Er nahm eine Handvoll schlammiger Erde und schmierte das Seil damit ein. Gerade als der Mann es wieder anzog, hatte Petja sich von der Schlinge befreit. Er sprang auf die Füße und rannte los.
Das Seil in Andrejs Händen hing schlaff herunter. Am anderen Ende war nichts mehr. Er zog noch einmal und spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Er kniff die Augen zusammen, konnte aber nichts sehen. Er hatte sich immer nur auf das Seil verlassen. Sollte er seine Brille aufsetzen? Nein. Als Kind hatte er auch keine gehabt. Da war er genauso hilflos gewesen. Fast blind war er allein durch den Wald gestolpert. Er lässt dich allein.
Andrej sprang auf und kletterte über den umgestürzten Baum. Mit der Nase dicht am Boden folgte er dem Seil.
Petja lief so schnell wie noch nie in seinem Leben. Er würde den Bahnhof erreichen. Der Zug würde da sein.
Er würde einsteigen. Und der Zug würde losfahren, bevor der Mann ankam. Er würde überleben. Ich kann es schaffen.
Er drehte sich um. Der Mann war hinter ihm, er lief, hielt dabei aber den Kopf dicht am Boden, so als suche er nach etwas, das er verloren hatte. Außerdem lief er in die falsche Richtung. Der Abstand zwischen ihnen wurde größer. Petja würde es schaffen. Er würde entkommen.
Andrejs Herz schlug wie wild. Als er das Ende der Schnur erreichte, blieb er stehen und schaute heftig blinzelnd um sich. Er merkte, dass seine Augen anfingen zu tränen, aber sehen konnte er ihn nicht. Der Junge war weg. Andrej war allein, verlassen. Aber da – auf der rechten Seite – eine Bewegung – etwas Helles – Hautfarbenes – der Junge.
Petja blickte sich rasch um in der Hoffnung, dass der Abstand zwischen ihnen sich weiter vergrößert hatte.
Diesmal sah er den Mann ganz schnell laufen, und zwar direkt auf sich zu. Er machte lange Schritte, die Jacke flatterte ihm um die Hüften.
Er hatte ein breites Grinsen aufgesetzt. Petja konnte erkennen, dass seine Zähne aus irgendeinem Grund ganz braun waren. Petja blieb stehen. Er begriff, dass es keine Flucht mehr gab. Er fühlte sich schwach, alle Kraft war ihm aus den Beinen
Weitere Kostenlose Bücher