Kind der Prophezeiung
sind sie gestorben?«
Wolfs Gesicht wurde finster. »Es gab ein Feuer«, sagte er knapp.
»Ein Feuer?« sagte Garion schwach, und er schrak vor diesem gräßlichen Gedanken zurück, vor den unaussprechlichen Qualen. »Wie ist das passiert?«
»Es ist nicht sehr schön«, sagte Wolf grimmig. »Bist du sicher, daß du es hören willst?«
»Ich muß, Großvater«, sagte Garion leise. »Ich muß so viel wie möglich über sie wissen. Ich weiß nicht, warum, aber es ist sehr wichtig.«
Meister Wolf seufzte. »Ja, Garion, ich glaube, du hast recht. Also gut. Wenn du alt genug bist, die Fragen zu stellen, bist du auch alt genug, die Antworten zu hören.« Er setzte sich auf eine Bank, wo er vor dem kalten Wind geschützt war. »Komm her und setz dich.« Er klopfte auf die Bank neben sich.
Garion setzte sich und zog seinen Umhang enger.
»Laß mich sehen«, sagte Wolf und zupfte nachdenklich seinen Bart, »wo fange ich an?« Er überlegte einen Augenblick. »Deine Familie ist sehr alt, Garion«, sagte er schließlich, »und wie so viele alte Familien hat sie eine Anzahl von Feinden.«
»Feinde?« Garion war verblüfft. Diese Idee war ihm noch nie gekommen.
»Es ist nicht ungewöhnlich«, sagte Wolf. »Wenn wir etwas tun, das jemandem nicht gefällt, neigt er dazu, uns zu hassen. Der Haß baut sich über Jahre hinweg auf, bis er fast so etwas ist wie eine Religion. Sie hassen nicht nur uns, sondern alles, was mit uns zusammenhängt. Jedenfalls, vor langer Zeit, wurden die Feinde deiner Familie so gefährlich, daß deine Tante und ich die Familie zu verstecken beschlossen.«
»Du erzählst mir nicht alles«, sagte Garion.
»Nein«, gab Wolf unumwunden zu, »das tue ich nicht. Ich erzähle dir so viel, wie du im Augenblick wissen darfst. Wenn du bestimmte Dinge wüßtest, würdest du anders handeln, und die Leute würden das bemerken. Es ist sicherer, wenn du noch etwas länger normal bleibst.«
»Du meinst unwissend«, beschuldigte ihn Garion.
»Also gut, dann unwissend. Willst du jetzt die Geschichte hören oder streiten?«
»Es tut mir leid«, sagte Garion.
»Schon gut«, meinte Wolf und klopfte Garion auf die Schulter. »Da deine Tante und ich auf besondere Weise mit deiner Familie verbunden sind, lag uns eure Sicherheit natürlich am Herzen. Deswegen haben wir deine Familie versteckt.«
»Kann man denn wirklich eine ganze Familie verstecken?« fragte Garion.
»Es war nie eine große Familie«, sagte Wolf. »Aus irgendeinem Grund war es immer nur eine einzige, ununterbrochene Linie – keine Vettern, Onkel oder Ähnliches. Es ist nicht so schwer, einen Mann und eine Frau mit einem einzigen Kind zu verstecken. Wir tun das jetzt seit Jahrhunderten. Wir haben sie in Tolnedra, Riva, Cherek, Drasnien versteckt – überall. Sie haben einfache Leben geführt – meist als Handwerker, manchmal als gewöhnliche Bauern; Menschen, nach denen man sich nicht umgedreht hätte. Jedenfalls lief bis vor etwa zwanzig Jahren alles gut. Wir haben deinen Vater, Geran, von einem Ort in Arendien in ein kleines Dorf in Ostsendarien gebracht, etwa sechzig Meilen südöstlich von Darin, hoch in den Bergen. Geran war Steinmetz – habe ich dir das nicht schon einmal erzählt?«
Garion nickte. »Vor langer Zeit«, sagte er. »Du hast gesagt, du mochtest ihn und hast ihn ab und zu besucht. War meine Mutter denn Sendarerin?«
»Nein«, sagte Wolf. »Ildera war Algarierin – die zweite Tochter eines Clan-Häuptlings. Deine Tante und ich stellten sie Geran vor, als sie ungefähr das richtige Alter hatten. Das übliche trat ein, und sie heirateten. Du wurdest etwa ein Jahr später geboren.«
»Wann war das Feuer?« fragte Garion.
»Ich komme noch darauf«, antwortete Wolf. »Einer der Feinde deiner Familie hatte schon sehr lange nach deiner Familie gesucht.«
»Wie lange?«
»Jahrhunderte.«
»Das heißt, er war auch ein Zauberer, nicht wahr?« fragte Garion. »Ich meine, nur Zauberer leben so lange, oder?«
»Er hat gewisse Fähigkeiten in dieser Richtung«, gab Wolf zu. »Zauberer ist dennoch ein irreführender Ausdruck. Es ist nicht der, mit dem wir uns selbst bezeichnen. Es ist ein brauchbarer Begriff für Leute, die nicht wirklich verstehen, worum es geht. Jedenfalls, deine Tante und ich waren nicht da, als dieser Feind schließlich Geran und Ildera auf die Spur kam. Er kam eines frühen Morgens zu ihrem Haus, als sie noch schliefen, dichtete Türen und Fenster ab und steckte es dann in Brand.«
»Ich dachte, du hättest
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