Kind der Sünde (German Edition)
die Rampe hinunterfuhr. Ihr war es ein Rätsel, wie er es schaffte, in dieser engen Abwärtsspirale und bei der Geschwindigkeit die Kontrolle über den Wagen zu behalten.
„Entspann dich“, raunte er ihr zu. „Es passiert schon nichts.“
Um einen Crash machte sie sich weniger Sorgen. Selbst wenn sie ein viertes Mal sterben sollte, wusste sie schon aus Erfahrung, was passierte. Sie würde im Leichenschauhaus wieder aufwachen. Ihr dritter Tod hatte sich ebenfalls nach einem Autounfall ereignet. Angst hatte Amber nur davor, ihren Verfolgern in die Hände zu fallen. Und diese Angst begleitete sie schon ihr ganzes Leben. Ihre Mutter hatte sie damit von klein auf praktisch in den Schlaf gesungen. Dass sie ungezählte Male aufgespürt worden war und Hals über Kopf hatte fliehen müssen, hatte ihre Furcht nur noch verstärkt.
Amber schaute über die Schulter nach hinten. Der Hummer schrammte auf der Fahrerseite an der Wand der Abfahrt längs. Sie hörte das ohrenbetäubende Kreischen von Metall auf Beton und sah einen Funkenregen sprühen. Der Geländewagen verlor an Boden.
„Söldnertruppe“, kommentierte Kai mit einem Blick in den Rückspiegel ungerührt. Dann streifte er Amber mit einem Seitenblick. „Möchtest du mir nicht endlich mal erzählen, was die eigentlich von dir wollen?“
„Wie kommst du auf Söldnertruppe?“, fragte Amber und stöhnte leise auf, als Kai in voller Fahrt in die Mission Street einbog. Dann gab er Gas, jagte die Straße hinunter und bog scharf rechts in die Zehnte.
Wieder drehte sie sich um. Der Hummer war noch immer hinter ihnen. Er holte zwar nicht auf, folgte ihnen aber in gewissem Abstand beharrlich.
„Söldnertruppe, weil es Sterbliche sind, die die Drecksarbeit für die Unterweltler machen.“
„Für mich sind es Jäger.“
„Warum Jäger?“
„Weil sie mich jagen.“
„Und wieso?“ Kai war anzumerken, dass er allmählich die Geduld verlor. Und tatsächlich hatte sie bis jetzt wenige seiner Fragen beantwortet.
Amber schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht.“
Kai ging so scharf in die Kurve, dass Amber sich schon in der Schaufensterfront gegenüber landen sah. Sie sah nach hinten. Der Hummer war nicht mehr zu sehen. Aber das beruhigte sie keineswegs – im Gegenteil. „Das ging zu einfach“, meinte sie.
„Stimmt. Sie werden gleich wieder auftauchen.“
Sie bogen auf die Interstate 80 Richtung Osten ein. Kai war vollkommen entspannt. Die linke Hand ruhte locker auf dem Lenkrad, die rechte auf dem Knauf der Gangschaltung. Amber betrachte seine kräftigen Hände. An den langen Fingern mit den stumpf zulaufenden Fingerspitzen klebte noch das Blut. Sie wandte den Blick ab. Sie wollte nicht mehr daran denken.
„Jäger …“, hakte er nach. Er wollte offensichtlich mehr aus ihr herausbekommen.
Sie ging nicht darauf ein. Denn warum sollte sie ihm trauen? Er schien eine ganze Menge mehr zu wissen als sie – Dinge, die sie selbst gern wüsste, die sie aber nie erfahren würde, wenn sie nicht mit ihm redete. Seufzend biss Amber sich auf die Unterlippe. Vielleicht war es doch nicht so verkehrt, sich auf ein Gespräch einzulassen. „Wer ist Asmodeus?“, fragte sie.
„Das habe ich dir schon gesagt. Der Dämon der Begierden.“
„Und was kann er von mir wollen?“
Kai fädelte sich vor einem Truck in den Verkehr ein. „Wenn sie noch hinter uns sind, gibt der uns vielleicht ein bisschen Deckung.“ Er zuckte die Schultern. „Sag du mir, was er von dir will. Du musst irgendeinen Deal mit ihm gemacht haben, sonst wäre er nicht hinter dir her. Geht das schon die ganze Zeit so, all die Jahre hindurch?“ Er warf ihr einen abschätzenden Blick zu. „Ich frage mich wirklich, was da abgelaufen ist. Denn, wie man sieht, betreibt er einen gewaltigen Aufwand. Ein bisschen viel Interesse für jemanden, mit dem man sonst angeblich nichts zu tun hat, findest du nicht?“
„Wenn es da etwas gibt und ich ihm irgendetwas schulde, weiß ich jedenfalls nichts davon. Kein blasser Schimmer.“ Hatte ihre Mutter etwas gewusst? Hatte sie einen Deal mit Asmodeus gemacht? Welch entsetzlicher Gedanke! „Sie sind schon immer hinter mir her“, fügte sie leise hinzu.
„Was meinst du mit schon immer ?“
„Seit meiner Geburt.“
„Und wann war das genau? Ich kann mich nicht erinnern, dass du es mir jemals verraten hättest, weder den Tag noch das Jahr. Und selbst wenn. Ich weiß längst nicht mehr, ob du mir überhaupt irgendwann einmal die Wahrheit gesagt
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