Kind des Bösen: Psychothriller (German Edition)
vielleicht war es das zum Teil auch.
Aber es lag auch daran, dass er der war, der er war und was er war. Mein Fleisch, mein Blut. Unser Vater war ein verabscheuungswürdiger, brutaler Mann gewesen. Ich wollte nicht wahrhaben, dass mein Bruder zu einem ähnlichen Ungeheuer herangewachsen war und dass – wenn auch nur vielleicht – dieser Samen schon von Anfang an in ihm gesteckt hatte. Denn wenn mein Vater gewalttätig war und mein Bruder auch … was bedeutete das für mich? Ich war nicht bereit, mich mit dieser Möglichkeit abzufinden. Mein ganzes Leben lang hatte ich das geleugnet.
Aus welchem Grund auch immer, ich verhaftete ihn nicht, und ich sprach auch nie mit Emmeline. Ich habe an diesem Tag versagt, was dazu führte, dass jemand anders an meiner Stelle zugrunde ging. Zwei Tage später war Emmeline tot, durch die Hand meines Bruders, und John hatte sich das Leben genommen.
Ein ranghöherer Detective übernahm die Ermittlungen in diesem Mordfall. Ich gab nur Datum und Uhrzeit meines Besuchs und Teile der Wahrheit zu Protokoll – dass ich die Beweise nicht für ausreichend gehalten hatte, um den Fall weiter zu verfolgen, bevor ich nicht mit Emmeline gesprochen hatte, wozu sich keine Gelegenheit geboten hatte.
In unserem Land sterben jede Woche zwei Frauen aufgrund häuslicher Gewalt. Es ist furchtbar, aber keineswegs unerklärlich. Ich halte an der Überzeugung fest, dass es immer Gründe gibt. Und für Emmeline war ich einer.
58
D raußen vor der Kapelle hat sich die Menge auf dem sonnenbeschienenen Gelände verteilt. Dunkle Anzüge heben sich wie Schatten von der leuchtenden, ordentlich gemähten Rasenfläche ab.
Jasmina lässt sich treiben, schüttelt Hände und nimmt Beileidsbekundungen entgegen, bis ihr nach einer Weile zwei Polizisten auffallen, die etwas abseits am Rand stehen. Sie nimmt jedenfalls an, dass es Polizisten sind. Es ist der Detective, bei dem sie die Vermisstenanzeige für ihren Mann aufgegeben hat, und er steht mit einer Frau zusammen, die fast genauso aussieht wie er. Sie sprechen leise miteinander.
Sie berührt ihre Schwester kurz am Arm. »Entschuldige mich einen Augenblick.«
»Möchtest du, dass ich …?«
»Nein, nein. Ist schon gut.«
Sie geht auf die Polizisten zu, wobei ihr der Name des Mannes erst in dem Augenblick einfällt, als sie bei ihnen ist.
»Detective … Hicks?«
Er sieht auf, wirkt zerquält.
»Ja, und das ist meine Kollegin, Detective Fellowes.«
»Danke, dass Sie gekommen sind.«
»Nichts zu danken«, sagt er. »Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid ausdrücken. Wir fühlen beide mit Ihnen. Es tut mir sehr leid, dass es so ausgegangen ist.«
»Es ist ja nicht Ihre Schuld.«
Hicks wirkt unangenehm berührt. Er sieht einen Moment verlegen zu Boden. Sie weiß gar nicht, warum, denn er hat doch getan, was er konnte. Aber manche Menschen sind eben so. Sie nehmen die Dinge zu schwer, laden sich jede Bürde auf, obwohl sie es nicht müssen.
»Was ist mit dem Mann?«, erkundigt sie sich. »Mit dem, der das getan hat?«
»James Miller.« Er sieht auf. »Der Mann, der das getan hat, sitzt im Gefängnis. Und der Mann, der alles geplant hat, heißt Tony Wilkinson. Er hat sich bei seiner Verhaftung das Leben genommen.«
Wieder dieses ungute Gefühl, aber diesmal anders. Instinktiv begreift sie, dass Hicks Tony Wilkinson hat sterben sehen und dass dieses Ereignis schwer auf ihm lastet. Er tut ihr leid, auch wenn es in vielerlei Hinsicht die beste Lösung ist. Wilkinson weint sie keine Träne nach; er hat den Tod verdient, was aber nicht bedeutet, dass es jemand anderem zugestanden hätte, ihn zu töten.
»Tut mir leid«, sagt sie. »Gab es … einen bestimmten Grund? Eine Erklärung dafür, warum er das getan hat?«
»Wir sind uns nicht sicher.« Hicks schüttelt den Kopf. »Wir vermuten, dass er eigentlich seine Frau umbringen und diese Tat hinter all dem anderen verbergen wollte, um uns nicht auf seine Spur zu bringen. Sie war schwanger, wissen Sie … und wir glauben, dass er das Kind nicht wollte.«
Jasmina runzelt die Stirn. Es fällt ihr schwer, sich vorzustellen, dass jemand sein Kind nicht wollen könnte. Jahrelang hat sie sich nichts sehnlicher gewünscht.
»Aber warum …?«
Hicks fasst die Frage falsch auf. »Warum er nicht einfach gegangen ist? Auch da sind wir uns nicht sicher. Er hat als Hausmeister beim Militär gearbeitet und hätte den Job wohl aufgeben müssen. Weil er zu wenig verdient hat, um ein Kind durchzubringen – mit
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