Kind des Glücks
Zerstreuungen erforschen, die die Unicorn Garden zu bieten hat.«
Naturellement hatte die Unicorn Garden oder besser das Grand-Palais-Modul derselben eine Vielzahl von Zerstreuungen zu bieten, die allesamt entworfen waren – so erfuhr ich bald –, die Aufmerksamkeit der Geehrten Passagiere nach innen auf die hedonische Realität unserer kleinen Kunstwelt zu lenken, statt nach draußen auf die weite, kalte Leere des Raumes, durch den wir reisten.
Das Vergnügungsdeck bot Holocines, Glücksspiele, eine umfangreiche Bibliothek mit Wortkristallen und alle Arten von musikalischen, schauspielerischen und tänzerischen Vorstellungen, die von eigens für diesen Zweck engagierten Künstlern oder von Freidienern mit doppeltem Aufgabenpensum dargeboten wurden. Viele der letzteren waren gegen Gebühr auch für private tantrische Auftritte zu haben.
Das Vivarium der Unicom Garden erinnerte mich an ähnliche Orte auf Edoku, wenn auch natürlich der Maßstab dieser überkuppelten Parklandschaft sogar noch kleiner war als die auf dem Planeten der Edojin überreichlich vorhandenen Bonsai-Landschaften.
Unter einem Holohimmel voller Regenbögen, Monde, Ringplaneten, Kometen, Auroras, Tornadowolken und Unmengen ähnlicher miniaturisierter Phantasiegebilden erstreckte sich ein lebender Garten, der nicht vorgab, irgendeine von Menschen bewohnte Planetenoberfläche nachzuahmen. Das Vivarium – kaum mehr als einen oder zwei Morgen groß – war als Waldlichtung aufgemacht, so daß die Schiffswände, die sonst einen beengenden Horizont gebildet hätten, hinter einem dichten Vorhang aus Bäumen verschwinden konnten. Nicht zwei Bäume in diesem »Wald« gehörten derselben Art an, und jede Art schien der Kunst der Genformer entsprungen. Es gab Bäume mit roten, silbernen, pelzigen, sogar gefiederten Borken. Goldene Äpfel, riesige Rosen, gewaltige Blumen jeder Sorte, sogar riesige Juwelen und glühende Kegel sprossen surrealistisch aus ihren Ästen. Auf der Lichtung bildete natürliches Gras zwar einen alltäglichen Hintergrund, doch der größte Teil des Bodens war mit farbenprächtigen Pilzen und Schwämmen bedeckt.
Das Prunkstück dieses Vivariums war der Teich in der Mitte der Waldlichtung, um dessen Ufer Bänke verstreut standen. Auf seiner Oberfläche schwebten verschiedene Arten bunt blühender Wasserpflanzen, und in der Mitte lag, über eine Fußbrücke zu erreichen, eine winzige Wüsteninsel mit leuchtendem Sand, der von einer einzigen, gewaltigen Palme beschattet wurde.
Bei der Gestaltung der Fauna aber waren die Genformer anscheinend völlig berauscht gewesen, denn im Vivarium wimmelte es von Fabelwesen, die allesamt in Miniaturformen vorkamen. Pterodaktylen in der Größe meiner Hand huschten durch die Baumwipfel. Kniehohe Greife tummelten sich im Wald. Winzige Tyrannosaurier und flugfähige Drachen bettelten die Geehrten Passagiere um Brosamen an. Der Teich war mit kleinen Seemonstern besetzt – Schlangen, Pottwale, Kalmare, Ichtyosaurier und so weiter.
Natürlich konnte das Vivarium der Unicorn Garden nicht vollständig sein ohne ein halbes Dutzend der Wesen, die dem Schiff den Namen gegeben hatten – alle vom reinsten Weiß, jedes mit einem goldenen, spiraligen Horn und keins größer als ein halber Meter. Die Jungfrauen, in deren Schoß sie die kleinen Köpfe zur Ruhe betten mochten, waren die einzigen nicht sichtbaren Fabelwesen.
Das nächste Deck, das der Traumkammern, bestand aus verschlungenen Gängen, von denen mindestens ein Dutzend exotische Privatgemächer abgingen, die kaum durchs Reich der Natur inspiriert worden waren.
Man konnte sich erotischen Übungen hingeben, während man in zähem, regenbogenbuntem, nach Jasmin duftendem Öl trieb oder in vollkommener Samtschwärze oder bei null g in einer Konstruktion aus goldenen Stäben schwebte oder während man in einem azurblauen, flauschigen Nest oder in einer Kammer ruhte, die in form und Material an menschliches Fleisch erinnerte.
Nirgends im Reich der Geehrten Passagiere gab es jedoch ein einziges Bullauge oder Fernrohr, durch das man die weite, sternbesäte Schwärze direkt jenseits der Schiffshülle beobachten konnte, und ebensowenig gab es künstlerische Aufführungen, die mit ihr zusammenhingen.
Als ich dies bei Tisch zur Sprache brachte, sah die allgemeine Reaktion aus, als hätte ich das Gespräch auf Fäkalien bringen wollen.
Der Dekoration nach war das Restaurantdeck unter den Ebenen des Grand Palais dasjenige, welches am alltäglichsten
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