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Kind des Glücks

Kind des Glücks

Titel: Kind des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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wurde, so war dies ein Privileg, das ich eine ganze Weile nicht in Anspruch nehmen würde, denn einmal waren meine schnell zurückkehrenden Erinnerungen daran deprimierend und wenig einladend im Vergleich zum Garten des Clear Light, und auf der anderen Seite fühlte ich mich kaum in der Lage, mich in das inzwischen unvertraute Milieu der städtischen Verkehrsadern zu wagen.
    Und das Leben im Sanatorium war auch nicht gerade langweilig.
    Nachdem ich einige Wochen lang meine endlose Geschichte keinen anderen bewußten Ohren als meinen eigenen erzählt hatte – und zuvor hatte ich als Geschichtenerzählerin im großen Edoku kaum begeisterte Zuhörer gefunden –, war es nun sehr aufregend, ermutigt zu werden, den lieben langen Tag ausführlich vor einem hingerissenen Publikum von Heilern und Wissenschaftlern zu plappern und dabei zu bemerken, daß auch mein unbedeutendstes Gemurmel noch wahrheitsgetreu auf Wortkristallen für die Nachwelt aufgezeichnet wurde.
    Das soll nicht heißen, daß ich in einem Vortragssaal hinter einem Podium stand wie ein gebildeter Wissenschaftler. Vielmehr verbrachte ich täglich vier Stunden und mehr in einem kleinen, fensterlosen Raum im Inneren der Klinik, wo ich mit zwei oder bis zu sechs Menschen am Tisch saß, wobei Urso gewöhnlich den Vorsitz innehatte.
    Mein Publikum schien jeden Tag anders zusammengesetzt zu sein; anscheinend stammten sie aus einem Stab, der mehrere Dutzend Wissenschaftler umfaßte. Wie viele davon wirklich Angestellte des Clear Light waren, sollte ich jedoch nie erfahren.
    Zuerst wurde ich einfach aufgefordert, meine Geschichte, die der Flötenspielerin des Bloomenveldts, ohne Unterbrechung und ohne Zwischenfragen immer und immer wieder zu erzählen; mir wurde nicht einmal das Publikum vorgestellt – gerade so, als wäre ich tatsächlich eine Geschichtenerzählerin, die vor einer zusammengewürfelten Menschenmenge sprach, wenn auch leider am Ende der Vorstellung kein Ruegelt heraussprang.
    Während der beiden ersten Wochen schienen diese Erzählungen die einzige Form meiner Therapie zu sein, und ich wäre undankbar, wenn ich diese Wohltat als zufälliges Nebenprodukt einer ausschließlich wissenschaftlichen Untersuchung abtäte. Denn mir wurde erlaubt, ja, ich wurde sogar ermutigt, meine Geschichte in all ihren endlosen, mutierten Versionen zu erzählen, obwohl die Vielfalt in den Augen meiner Zuhörer schon lange erschöpft sein mußte – bis zu einem Punkt, an dem sie mir selbst wie ein ewig gleiches Geplapper vorkamen.
    Und dies war anscheinend das Ziel meiner Therapie.
    Zuerst gerann die endlose Wiederholung der Geschichte zu einer zusammenhängenden Version, ganz ähnlich den Oden der präliteralen Barden, die in einer Art Konsens zusammengelaufen waren, der in den schriftlichen Versionen, die uns heute bekannt sind, seinen Niederschlag fand.
    Dann begann ich eine gewisse Kontrolle über diesen Prozeß zu gewinnen, und an diesem Punkt kam mein handwerkliches Geschick ins Spiel, denn ich bemühte mich, meinen Wortschwall in eine zusammenhängende Erzählung zu verwandeln, die zum Verständnis und der Erbauung der Menschenwelten kopiert werden konnte. Soll heißen, daß ich während dieser Periode die Erzählung entwickelte, die ich später gegen Ruegelt in den phantasielosen Straßen von Ciudad Pallas erzählen würde.
    Schließlich begann mir zu dämmern, daß die endlos wiederkehrenden Motive des Flötenspielers, der Sonne, der Zauberstraße, der Bäume unserer Vorfahren und so weiter alles andere als tatsächliche Personen, Anblicke oder Gegenstände waren, sondern in Wirklichkeit Bilder, die komplizierte Bedeutungsgehalte verkörperten, die über mein bewußtes Begreifen hinausgingen und die in einer Sequenz zusammengebunden waren, die zugleich im Wortsinne falsch und spirituell wahr war.
    Jenen, die sagen würden, daß die eigenständige Wiederentdeckung des ehrwürdigen Konzepts der literarischen Metapher nicht gerade ein überwältigender Beweis meiner intellektuellen Fähigkeiten sei, würde ich antworten, daß vom Standpunkt eines Sängers aus, der lange im Lied selbst versunken war, dieses Satori zwar kein großer und einmaliger Beitrag zur literarischen Kunst ist, daß es aber dennoch eine kraftvolle Erleuchtung war, soweit es um die therapeutische Wiederentdeckung meines eigenen Selbst ging.
    Wirklich, wenn man von der, die sich aus dem Nichtsein der Blumen erhoben hatte, um dem synergetischen Mantra der Sonne, des Gelb und der Zauberstraße zu

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