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Kinder der Dunkelheit

Kinder der Dunkelheit

Titel: Kinder der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Ketterl
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den Weg zu geben.
    Wir vertragen keine Sonne, wir vertragen es nicht, normal zu essen. Wir können Speisen nur sehr langsam verarbeiten. Sagen wir, ein Stück Brot und eine Frucht brauchen in unseren Mägen bis zu zwei Wochen, um restlos verdaut zu sein. In der prallen Sonne bekämen wir Blasen auf der Haut, Ausschläge würden unsere Körper verunstalten und uns unter großen Schmerzen verbrennen. Lediglich die Morgen- und Abenddämmerung sind unserer Haut gerade noch zumutbar.
    Alexander und seine Männer waren ungezügelte Trinker und viele von ihnen fühlten sich zu Männern hingezogen. Das nutzten unsere Vorfahren aus, sie alle waren ausgesprochen schöne Wesen und das war auch Alexanders Männern nicht entgangen. In nur einer einzigen Nacht wurde bei fast seinem ganzen Heeresstab ein fast gänzlicher Blutaustausch vorgenommen. Sie wurden danach im Laufe von nur wenigen Stunden zu unseresgleichen, dummerweise ohne es zu verstehen, was mit ihnen geschah. Sie hatten schwere Krankheitssymptome und vertrugen ihre Nahrung nicht mehr. Für sie fühlte es sich an, als seien sie vergiftet worden. Nahrung und Wein faulten in ihren Körpern. Ihre Haut war von Geschwüren überzogen. Sie sahen bald nicht sehr gut aus. Im Nachhinein war es ein Wagnis gewesen, ein sehr großes Wagnis. Eigentlich wären sie alle damals unsterblich gewesen, genau das, was Alexander der Große sich so fanatisch gewünscht hatte. Aber – dem Himmel sei Dank – sie waren zu dumm, zu hochmütig und zu gierig, um zu verstehen. Sie starben, langsam, teils nach langer, quälender Krankheit an ihrer Unmäßigkeit, ohne jemals zu begreifen. Die Rache unseres Volkes war erfolgreich gewesen.
    Die Kinder der Dunkelheit haben sich vom alten Persien aus im La ufe der Jahrtausende über die Erde zerstreut. Bis zum heutigen Tag leben wir auf dieser Erde, verlieben uns, zeugen Kinder und möchten eigentlich nur in Frieden das Leben genießen dürfen. Wir können viele Dinge, die den Menschen auf ewig verwehrt bleiben werden, und – darauf bin jetzt ein wenig stolz – haben unglaublich gute Gene, die wir gern über wunderbare Frauen weiter an diese Welt vererben.“
    Raffaele lächelte still in sich hinein, lehnte sich zurück in den kühlen Sand und blickte hinauf zum Sternenhimmel, während Mohammed verzweifelt versuchte, das soeben Gehörte zu vera rbeiten. Nach einer kleinen Ewigkeit gelang es ihm endlich, seine Gedanken in Worte zu fassen.
    „So wie Eure Ahnen damals das kleine Kind gerettet haben, wurde so auch ich jetzt gerettet? Bin ich darum noch am Leben?“
    Raffaele setzte sich mit einer sehr eleganten Bewegung wieder auf und sah ihn fast schon liebevoll an. „Nicht ganz, mein Junge. Das Kind hat nur ein wenig Blut erhalten, schließlich war es noch immer ein normaler Mensch. Du aber hingst fast gänzlich ausgeblutet an diesem vermaledeiten Kreuz, an das dich deine Peiniger geschlagen hatten. Sie vergessen ein ums andere Mal, dass der, welcher vor so langer Zeit als Märtyrer an einem solchen Kreuz starb, eine sehr leicht verständliche Anweisung gegeben hatte: ,Du sollst nicht töten.‘ Ich fand, dass es eine unsagbare Verschwendung wäre, dich sterben zu lassen. Dein Leben hatte doch noch gar nicht richtig begonnen. Ich konnte deine Pein spüren und deine Schreie hören, doch ich war zu weit weg, um dir schneller zu Hilfe zu kommen. Meine Angst war nur, dass ich es nicht mehr zur rechten Zeit schaffen würde und du diesen Folterknechten unter den Händen wegstirbst. Denn Tote zurückzuholen, ist uns nicht möglich. Ich hätte dir nicht mehr helfen können. Du hattest leider nur noch so wenig menschliches Blut in dir, dass es uns einige Anstrengung kostete, das Leben in dich zurückzuholen.“
    „Uns?“ Mohammed sah sich suchend um.
    „Ganz ruhig, Junge. Mein alter Freund Vittorio ist in Granada, um zu sehen, was dort vor sich geht. Er wird vor Sonnenaufgang wieder hier sein und sich ganz bestimmt freuen, dich endlich bei Bewusstsein zu erleben. Er hat sich große Sorgen gemacht, dass deine Verletzungen doch zu schwer gewesen sein könnten.“
    Mohammed versuchte, seine wirren Gedanken und all die Fr agen, die durch seinen Kopf schwirrten, einigermaßen vernünftig zu sortieren. „Bedeutet das, dass ich ein Kind der Dunkelheit bin, dass ich nie wieder das Sonnenlicht werde sehen können?“
    Raffaele zog eine leichte Grimasse. „Das klingt etwas dram atisch, wenn du es so formulierst. Aber ja, du bist ein Kind der Dunkelheit und nein,

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