Kinder der Dunkelheit
genug ausfallen würde. Hier aber wurde er enttäuscht. Er hörte ein leises Lachen und dann antwortete ihm der Fremde.
„Mein Name ist Raffaele und du bist am Strand.“
Mohammeds Verwirrung nahm noch etwas zu, denn diese Aussage half nun nicht, ihn zu beruhigen. „Treibt keine Scherze mit mir. Ich weiß, dass ich tot bin, lange genug hat mein Sterben gedauert. Habe ich kein Recht, nun wenigstens zu erfahren, was geschehen ist?“
Der Mann wickelte sich aus seinem langen Umhang und erhob sich. Mohammed musste weit nach oben sehen, um Raffaeles Gesicht noch fixieren zu können. Aber dieser erleichterte es ihm erneut, indem er sich direkt neben ihm im Sand niederließ, und während er ihm beruhigend übers Haar strich, sah er ihn lange schweigend an.
„Doch, mein junger Freund, du hast alles Recht der Welt, zu erfahren, was geschehen ist, und ich werde dir auch nichts vorenthalten. Aber gib dir doch selbst etwas Zeit, komm zuerst einmal in deinem neuen Leben an, ehe du mehr darüber lernst. Noch bist du schwach, aber du wirst dich bald erholen und dann gilt es, viel zu verstehen und mit viel Neuem zurechtzukommen.“
„Neues Leben? Welches neue Leben und was gibt es daran denn zu verstehen?“
Eine kühle Brise strich vom Meer herauf und Mohammed fröstelte. Raffaele zog ihm eine der Decken etwas höher, in die er gewickelt war.
„Dir ist kalt, Junge. Die Nächte am Meer sind leider kühl und feucht, aber die Luft ist gut für dich, sie hilft deinem Körper, zu heilen. Sieh mich nicht an, als ob ich ein Gespenst sei! Ich will dir wahrlich nichts Böses.“
Dass ihm von dem Fremden keine Gefahr drohte, hatte Mohammed rasch begriffen, er vertraute dem Mann. Warum, konnte er nicht sagen und doch tat er es, vollkommen.
„Sagt mir bitte, Raffaele, bin ich denn nun tot, ist dieser Ort das Jenseits? So sagt doch endlich etwas dazu!“
Das Gesicht seines Gegenübers verzog sich zu einem Lachen und Mohammed erkannte, dass es dadurch sogar noch schöner wurde, selten hatte er solch eine Vollkommenheit an einem Menschen entdeckt – dies konnte kein einfacher Wanderer sein. Doch dann bekam Mohammed seine Antwort, eine Antwort, die er beileibe nicht erwartet hatte.
„Nein, mein Junge, du bist wahrlich nicht tot und wenn du dich ein wenig umsiehst, dann wirst du sehen, dass das Jenseits ve rblüffende Ähnlichkeit mit der Küste zwischen Granada und Malaga hat. Bitte, sieh hin.“ Raffaele half ihm dabei, sich aufzusetzen und stützte dabei vorsichtig Mohammeds Oberkörper.
Der konnte nun endlich sehen, dass er tatsächlich das Mitte lmeer vor sich hatte. In weiter Entfernung erblickte er ein Boot, das gemächlich auf dem Wasser dümpelte, und wenn er den Kopf etwas zur Seite wandte, konnte er die Silhouette Granadas in der Ferne erkennen. Es dauerte eine Weile, bis er begriff. Es war unmöglich, von der Küste aus Granada zu sehen, die Entfernung war sonst immer viel zu groß! Was aber sah er dann hier?
Raffaele schien seine Gedanken lesen zu können. „Du fragst dich, warum du deine Heimatstadt sehen kannst? Du wirst in Zukunft viele Dinge erblicken, die normale Menschen nie wah rnehmen können, oder erst, wenn sie um vieles näher sind.“
Mohammed erschrak. „Was meint Ihr damit? Bin ich etwa kein normaler Mensch?“
Sein Retter zögerte merklich, ehe er antwortete. „Ehrlich gesagt, nein, du bist kein normal sterblicher Mensch – nicht mehr.“ Als Raffaele sah, dass sich Mohammeds Augen ungläubig und voller Erschrecken weiteten, beeilte er sich, fortzufahren. „Du wirst jetzt dann sein wie ich, sieh mich an! Ist das so eine tragische Aussicht, na?“
Mohammed wollte ihn auf keinen Fall beleidigen, daher fiel es ihm schwer, eine vernünftige Antwort zu formulieren. Schlie ßlich entschloss er sich zu einer kurzen und bündigen. „Nein, ist es nicht, aber dennoch: Was bist du?“
Raffaeles Arm stützte ihn noch immer und sein Gesicht war Mohammed nun so nahe, dass er jede Regung seiner Muskeln sehen konnte. Er glaubte wieder, ein leises Lächeln zu sehen und wie die Nasenflügel des Mannes zuckten, er war offensichtlich ein wenig amüsiert. Raffaele schob mit der freien Hand einige Decken und ein Kissen so zurecht, dass Mohammed annähernd aufrecht sitzen konnte, dann ließ er sich ihm direkt gegenüber nieder und sah ihn nachdenklich an.
„Ich erzähle dir jetzt eine Geschichte, bei der ich dich einfach bitte, zuzuhören und mich nicht zu unterbrechen. Wenn ich fertig bin, verspreche ich dir,
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