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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Priester bemühte sich, zertrümmerten Flaschen und verbogenen Metallstücken entlang den Schienen auszuweichen.
    Am Stadtrand wurde der Schotterweg zu Schlamm und verlor sich dann völlig. »Festhalten!« rief O'Rourke, steuerte das Motorrad auf eine Kreuzung und dann auf die Eisenbahnschwellen. Kates Seitenwagen hing über die Gleise.
    So tuckerten sie drei oder vier Meilen entlang, und Kate war jeden Zentimeter des Weges davon überzeugt, daß ihre Plomben herausgeschüttelt würden. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie O'Rourke etwas sehen konnte; ihre eigene Sicht war ein vibrierendes, dreifach überlagertes Bild, das zudem von der Brille und dem Nieselregen getrübt wurde. »Und wenn ein Zug kommt?« brüllte sie, als sie die letzten umliegenden Bauernhäuser passiert hatten. Nur ein paar Männer in ihren Gärten hatten aufgesehen. »Dann sterben wir!« brüllte O'Rourke zurück. Fünf Meilen von der Stadt entfernt und mindestens drei Meilen nach der Straßensperre hielten sie an einer Kreuzung mit einem lehmigen Feldweg an, der nach Norden und Süden führte. Vor ihnen ertönte hinter einem dichten Hain von Bäumen die ausgesprochen laute Pfeife eines Zuges.
    »Schätze, hier verlassen wir die Schienen«, sagte O'Rourke und bog Richtung Norden auf die Straße ab. Der Feldweg war schlammig, Kate mußte zweimal aussteigen und schieben, bis sie die Kreuzung mit der Autobahn E 70 erreicht hatten, die wie eine aufgegebene und verwahrloste Interstate nach Nordwesten führte. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, seit O'Rourke sie im Mai auf dieser Straße nach Piteşti gefahren hatte, damit sie den Kauf eines Babys direkt vor Ort miterleben konnte.
    Auf der Straße nach Westen waren keine Polizeiautos zu sehen. Sie sahen keinen schwarzen Mercedes, als sie hinter dem großen Dorf Găeşti auf eine schmale und unebene Landstraße 72 wechselten. Auf einem Schild stand: TÎRGOVIŞTE 30 KM.
    Sie unterhielten sich nicht mehr über den Lärm des Motors hinweg, Kates Kopf pochte nach der holprigen Fahrt auf den Schienen, und so fuhren sie Richtung Norden, den Bergen und der zunehmenden Dunkelheit entgegen.
     
    Sie machten am Ufer des Flusses Dimboviţa Rast, keine zehn Kilometer von Tîrgovişte entfernt. Die Landstraße 72 war schmal, kurvenreich und führte ausschließlich durch Dörfer, die aus nicht mehr als ein paar ärmlichen, an die Straße gequetschten Hütten bestanden. O'Rourke stellte das Motorrad unter den Bäumen an dem träge dahinfließenden Fluß ab. Der Käse war salzig, die Wurst alt, die Ouă umpluţi - die gefüllten Eier - mit etwas gefüllt, das sie beide nicht kannten. Es war eine der köstlichsten Mahlzeiten, an die Kate sich erinnern konnte, und sie trank direkt aus der Mineralwasserflasche, um sie hinunterzuspülen. Es hörte auf zu regnen, und die Sonne traf zwar keine Anstalten hervorzukommen, aber dennoch schien es wärmer als seit Tagen zu sein. Kate fand Stellen an ihrer Kleidung, die tatsächlich trocken waren.
    »Ihr Rumänisch scheint in dem Restaurant gewirkt zu haben«, sagte O'Rourke. Er schien das Bier zu genießen.
    Kate leckte sich die Finger. »Überlebenstraining letztes Frühjahr. Ich habe nicht alle Mahlzeiten in der Krankenhauskantine eingenommen.« Sie wartete einen Moment, bevor sie sich über das letzte gefüllte Ei hermachte. »Ich hoffe, diese Fernfahrer waren am Ende ihrer Schicht, und nicht am Anfang.«
    O'Rourke nickte. »Sie meinen wegen dem Bier? Ja. Nun, in diesem Land ist es eine Seltenheit, wenn nüchtern gefahren wird.« Er betrachtete seine fast leere Flasche. »Ich schätze, ich werde nach dieser hier aufhören.«
    Kate nahm den Schal ab. »Sie haben heute zweimal ›Scheiße‹ gesagt, und jetzt tun Sie sich an Bier gütlich. Kein angemessenes Verhalten für einen anständigen Priester.«
    Statt zu lachen, sah O'Rourke über den Fluß hinweg. Seine Augen waren glänzend und grau, und in diesem Augenblick sah Kate einen Funken des hübschen Jungen im müden und bärtigen Gesicht des Mannes. »Es ist lange her«, sagte er, »daß ich ein anständiger Priester war.« Kate zögerte verlegen.
    »Hätte sich vor zwei Jahren die Reise nach Rumänien nicht ergeben, die mich mit dem Problem der Waisenhäuser hier konfrontierte«, fuhr er fort, »hätte ich schon damals gekündigt.« Er trank noch einen Schluck.
    »Hört sich komisch an«, sagte Kate. »Das Wort ›gekündigt‹, meine ich. Man stellt sich nicht vor, daß Priester ihren Beruf aufgeben.«
    O'Rourke

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