Kinder der Nacht
absurden Ding aussehen mochte. Sogar die Brille war vor Alter halb milchig. »Wo haben Sie das alles her?« fragte sie.
Der Priester zog selbst eine Brille und eine Fliegermütze aus Leder auf, die Kate zum Lachen reizte. »Pater Stoicescu hat es mir gestern angeboten«, sagte er. »Einer der Patres, die zu Besuch waren, hat es hier gekauft und in einer Garage in der Nähe der Universität stehenlassen. Bis heute sah ich keine Veranlassung, es zu holen.« Er drehte einen Schlüssel herum, machte sich an einem Benzinhahn an der Seite des uralten Motors zu schaffen, sprang hoch und drückte mit einem Fuß ein Pedal nieder. Nichts geschah.
»Sind Sie sicher, daß Sie wissen, wie man dieses Ding fährt?« Kate kam sich in dem Beiwagen am Bordstein wie auf dem Präsentierteller und lächerlich vor. Sie rechnete jeden Augenblick damit, daß ein Mercedes der Securitate angefahren kommen würde.
»Ich hatte selbst eins, bevor ich in Vietnam war«, murmelte O'Rourke, der sich an einem anderen Schalter auf der Seite zu schaffen machte. Er stand wieder auf, sprang hoch, ließ das Gewicht auf das Pedal fallen. Wieder nichts. »Scheiße noch mal«, knurrte der Priester.
Kate zog eine Braue hoch, beschloß aber, nichts zu sagen.
O'Rourke versuchte es noch einmal und wurde mit einem Knattern aus dem Zylinder, einer Fehlzündung und dann Stille belohnt. »Verdammtes billiges Benzin«, sagte er und schraubte an etwas über dem Motor.
»Haben Sie gesagt, Sie wüßten, wo die Zeremonie heute nacht stattfindet?« sagte Kate leise. Es hatte wieder angefangen zu regnen, daher waren im Augenblick weder Fußgänger noch Verkehr zu sehen; dennoch verspürte sie den Drang zu flüstern.
O'Rourke hörte auf zu schrauben, beugte sich herüber und zog eine Karte aus einem elastischen Fach an der Innenseite des Beiwagens. »Sehen Sie«, sagte er.
Kate stellte fest, daß es sich um eine Kummerly & Frey-Straßenkarte im Maßstab 1 : 1000 000 handelte, dann faltete sie sie auseinander, stellte fest, daß die Hälfte davon Bulgarien zeigte, legte sie anders herum zusammen, damit Rumänien zu sehen war, und sah rote Kugelschreiberkreise um mehrere Städte herum. »Braşov, Tîrgovişte, Sighişoara und Sibiu«, sagte sie. »Die sind alle eingekreist. Welche ist es ... und warum?«
O'Rourke versuchte sein Glück noch einmal mit dem Pedal, und nun sprang der Motor heulend an. Er drehte ein paarmal das Gas auf, bis der Motor gleichmäßig lief, dann ging er mit dem Gas zurück und beugte sich zu ihr. Er deutete mit dem Finger auf Tîrgovişte, eine Stadt etwa fünfzig Meilen nordwestlich von Bukarest. »Das sind allesamt Städte, die für die Familie der Strigoi von großer Bedeutung sind«, sagte er. »Ich glaube, sie werden die Orte für die Zeremonien der kommenden vier Nächte sein.«
»Woher wissen Sie das?«
O'Rourke sah über die Schulter und fuhr mit einem Aufheulen und in einer Abgaswolke auf die Straße. Kate klammerte sich mit der freien Hand am Rand des Beiwagens fest. Sie fand das Erlebnis, in dem tiefliegenden Beiwagen zu fahren, äußerst unangenehm. »Woher wissen Sie das?« wiederholte sie.
»Lassen Sie es mich später erklären«, rief er zurück. Er fädelte sich in den Verkehr auf dem Bulevardul Gheorghe Gheorghiu-Dej ein, dann bog er nach Norden auf den Bulevardul Nicolae Bălcescu ab, der durch das Stadtzentrum führte.
»Dann verraten Sie mir nur, woher Sie wissen, daß die heutige Zeremonie in Tîrgovişte stattfinden wird«, verlangte Kate und beugte sich näher zu ihm, als sie an einer roten Ampel direkt nach dem Hotel Intercontinental halten mußten.
O'Rourke rieb sich die Wange. Kate fand, daß er mit seinem Bart, dem Helm und der Brille kaum Ähnlichkeit mit einem Priester hatte. »Pater Stoicescu hat das Kloster von Tîrgovişte erwähnt, das ich vor zwei Tagen besucht hatte«, sagte er. Die Ampel sprang um, und sie setzten sich mit dem spärlichen Verkehr in Bewegung. Es nieselte immer noch. »Sie haben keine Telefonverbindung mehr.«
»Und?« Solange sie derart langsam fuhren, mußte Kate nicht brüllen.
»Die Mönche wurden festgenommen«, sagte er. »Die Securitate hat sie einfach ausgehoben. Nachdem sie jahrhundertelang von den Behörden geduldet wurden, hat man das Kloster auf einmal geräumt. Einer der Mönche war gerade dabei, Lebensmittel auf dem Markt zu kaufen, kehrte zurück und sah noch, wie die anderen Mönche in Polizeiautos verladen wurden, dann konnte er nach Bukarest fliehen und das hiesige
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