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Kinder der Nacht

Kinder der Nacht

Titel: Kinder der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Magen knurrte. Sie hatte nicht richtig gefrühstückt und konnte sich nur an ein paar Löffel Suppe in der Nacht zuvor erinnern.
    Es gab Geschäfte an der Hauptstraße, dem Bulevardul Pacii, aber die waren verlassen, und zwar schon seit sieben Uhr. Aggressive Fahrer, die nicht auf den restlichen Verkehr achteten, zwangen O'Rourke, über Kopfsteinpflaster und unebenen Asphalt auszuweichen, und Kate dachte mehr als einmal, der Seitenwagen würde umkippen. Sie sah ein Fernfahrerrestaurant bei den Bahngleisen, das geöffnet hatte, und wies den Priester darauf hin. Als sie auf dem Parkplatz standen und der Motor verstummt war, zog O'Rourke den Fliegerhelm ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Wagen wir es und gehen rein?« fragte Kate.
    »Wenn Sie so hungrig sind wie ich, wagen Sie es«, sagte O'Rourke. Sie ließen die Brillen und seinen Helm im Seitenwagen und gingen hinein.
    Das Lokal war höhlenartig, kalt und vom Rauch hunderter Zigaretten erfüllt. Kellner eilten mit großen Bierflaschen von Tisch zu Tisch. Jeder Lastwagenfahrer hatte ein halbes Dutzend leere Bierflaschen vor sich stehen und schien bereit zu sein, noch einmal ein halbes Dutzend zu bestellen.
    »Warum so viele auf einmal?« flüsterte Kate, als sie einen Tisch in der Nähe des Kücheneingangs gefunden hatten.
    O'Rourke lächelte. Kate fiel zum ersten Mal auf, daß er den Priesterkragen abgenommen hatte und nur ein dunkles Hemd und Hosen unter dem dicken Wollmantel trug. »Sie haben Angst, dem Lokal könnte das Bier ausgehen«, sagte er. »Was auch noch vor dem Abendessen passieren wird.« Er versuchte, einen Kellner herbeizuwinken, aber die Männer mit den dunklen Jacketts und schmutzigen weißen Hemden beachteten ihn gar nicht. Schließlich stand der Priester auf und stellte sich direkt vor einen der hastenden Männer.
    »Daţi-ne supă, vă rog«, sagte O'Rourke. Kates Magen knurrte bei dem Gedanken an einen großen Teller Suppe.
    Der Kellner schüttelte den Kopf. »Nu ...« Er ließ einen wütenden Schwall Silben auf O'Rourke herabregnen und erwartete offensichtlich, daß O'Rourke beiseite gehen würde.
    »Mititei?Brînză? Cîrnaţi?« fragte der Priester.
    So nervös Kate war, beim Gedanken an Wurst und Käse lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
    »Nu!« Der Kellner sah sie böse an. »American?«
    Kate stand auf und holte einen Zwanzigdollarschein aus der Handtasche. »Ne puteţi servi mai repede, vă rog, ne grăbim!«
    Der Kellner griff nach der Banknote. Kate ließ sie wieder zwischen den Fingern verschwinden. »Wenn wir das Essen bekommen«, sagte sie. »Mititei. Brînză. Salam. Pastrama.«
    Der Kellner sah sie wieder böse an, verschwand aber in der Küche. O'Rourke und Kate blieben stehen, bis er zurückkam. Fernfahrer sahen sie an.
    »Es geht doch nichts über unauffälliges Benehmen«, flüsterte der Priester.
    Kate seufzte. »Wären Sie lieber verhungert?«
    Der Kellner kam mit sichtlich umgänglicherem Benehmen und einer fettigen weißen Tüte zurück. Kate schaute hinein und sah verpackte Würstchen, hartgekochte Eier und Salamischeiben. Er streckte wieder die Hand nach den zwanzig Dollar aus, aber Kate hielt einen Finger hoch. »Băutură?« sagte sie. »Etwas zu trinken?«
    Der Kellner sah gequält drein.
    »Nişte apă«, sagte Kate. »Apă minerală.«
    Der Kellner nickte resigniert und sah O'Rourke an. »Bier«, sagte der Priester.
    Eine Minute später kam der Kellner mit zwei großen Flaschen Mineralwasser und drei Flaschen Bier zurück. Er wünschte sich eindeutig, die Transaktion wäre vorbei. O'Rourke nahm die Flaschen; der Kellner nahm den Zwanzigdollarschein. Die Fernfahrer setzten ihre Unterhaltung fort.
    Draußen nieselte es wieder. Kate verstaute Essen und Flaschen unter der Plane des Seitenwagens. Eine Minute später fuhr O'Rourke schon wieder auf der Straße nach Osten. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, außer in die Stadt zurückzufahren«, rief er.
    Kate betrachtete die Straßenbahn- und Eisenbahnschienen, die hier parallel zur Straße verliefen. Daneben sah sie ausgefahrene Spurrillen. »Die Schienen verlaufen hier nach Westen!« rief sie und deutete darauf.
    O'Rourke verstand sofort. Er steuerte das Motorrad vor einer entgegenkommenden Straßenbahn vorbei, holperte über den Bordstein, raste durch ein abfallübersätes Feld und lenkte auf den ausgefahrenen Schotterweg. Eine Minute später knatterten sie hallend zwischen den rückwärtigen Fassaden von Reihenhäusern aus der Stalinzeit dahin. Der

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