Kinder der Stürme
vier oder fünf Jahre her sein, seit ich zuletzt dort war. Corina war gerade aus Amberly angekommen. Sie erzählte mir, daß ein Flieger aus dem Osten von deinem Unfall berichtet hatte. Ich bin sofort aufgebrochen, weil ich mir Sorgen machte …“ Sie bückte sich, um ihre Freundin noch einmal zu küssen. Beinahe wären ihr die Flügel aus der Hand geglitten.
„Ich werde sie für dich aufhängen“, sagte Evan ruhig und kam auf sie zu. S’Rella gab sie ihm, ohne ihn anzusehen. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehörte Maris.
„Wie … geht es dir?“ fragte sie.
Maris lächelte. Mit ihrem gesunden Arm warf sie die Decke zurück und zeigte ihre beiden geschienten Beine. „Gebrochen, wie du siehst, aber sie heilen gut. Jedenfalls hat Evan mir das versichert. Meine Rippen tun mir kaum noch weh. Und ich bin sicher, daß die Schienen bald abgenommen werden können – meine Beine jucken entsetzlich.“ Sie machte ein finsteres Gesicht und zog einen langen Strohhalm aus der Vase auf ihrem Nachttisch. Sie versuchte angestrengt, den Halm zwischen Bein und Schiene zu schieben. „Manchmal nützt es was, aber manchmal macht es das ganze nur noch schlimmer, weil es kitzelt.“
„Und was ist mit deinem Arm?“
Maris sah Evan an und wollte eine Antwort von ihm hören.
„Laß mich da raus, Maris“, sagte er. „Du weißt es ebensogut wie ich. Dein Arm heilt gut, und es hat keine weitere Infektion gegeben. Was deine Beine betrifft, so wirst du sie in ein paar Tagen nach Herzenslust bewegen können.“
Maris stieß einen kleinen Freudenschrei aus. Dann holte sie tief Luft. Sie wurde blaß und schluckte trocken.
Besorgt ging Evan zu ihrem Bett. „Was ist passiert? Wo tut es dir weh?“
„Nichts“, sagte Maris schnell. „Nichts. Mir war nur übel, das ist alles. Ich habe meinen Arm ungeschickt bewegt.“
Evan nickte, aber diese Erklärung stellte ihn nicht zufrieden. „Ich werde Tee kochen“, sagte er und ließ die beiden Frauen allein.
„Wie steht es mit deinen Neuigkeiten“, sagte Maris. „Meine kennst du ja nun. Evan war wundervoll, aber das Gesundwerden dauert so lange. Ich fühle mich von allem abgeschnitten.“
„Ja, der Ort liegt sehr weit draußen“, stimmte S’Rella zu. „Und er ist kalt.“ Die Leute von den Südinseln dachten, die ganze Welt außerhalb ihres Archipels wäre kalt. Maris grinste – ein alter Witz zwischen den beiden – und streichelte S’Rellas Hand.
„Womit soll ich anfangen?“ fragte S’Rella. „Mit den guten Nachrichten, oder mit den schlechten? Gerüchte oder Politik? Du bist diejenige, die ans Bett gefesselt ist, Maris. Was möchtest du wissen?“
„Alles“, sagte Maris, „aber erzähl mir zunächst von deinen Töchtern.“
S’Rella lächelte. „S’Rena hat sich entschieden, Arno zu heiraten. Er hat eine Bude für Fleischpasteten im Hafen von Garr. Sie hat den einzigen Obstpastetenstand, und so ist es nur natürlich, daß sich die beiden entschieden haben, ihre Geschäfte zusammenzulegen.“
Maris lachte. „Eine überaus vernünftige Idee.“
S’Rella seufzte. „O ja, eine Heirat aus Bequemlichkeit und Geschäftstüchtigkeit. In S’Rena steckt kein bißchen Romantik -manchmal kann ich kaum glauben, daß sie meine Tochter ist.“
„Marissa besitzt genug Romantik für zwei. Wie geht es ihr?“
„Oh, keine Ahnung. Sie hat sich in einen Sänger verliebt. Ich habe seit Monaten nichts mehr von ihr gehört.“
Evan brachte zwei Tassen heißen Tees seiner eigenen Mischung, einer aromatischen Sorte aus weißen Blüten. Dann zog er sich diskret zurück. „Gibt es Neuigkeiten aus Eyrie?“ fragte Maris.
„Wenige und keine guten. Jamis ist auf einem Flug von Geer nach Klein Shotan verschwunden. Die Flieger befürchten, daß er im Meer ertrunken ist.“
„Oh“, sagte Maris. „Das; tut mir leid. Ich kannte ihn zwar nicht näher, aber er war als guter Flieger bekannt. Sein Vater führte damals den Vorsitz in der Fliegerversammlung, als wir das Akademiesystem ins Leben riefen.“
„S’Rella nickte. „Lori von Varon hat ein Kind geboren“, fuhr sie fort, „aber es war kränklich und starb noch in der ersten Woche. Sie ist völlig fertig. Garret natürlich auch. T’Katins Bruder wurde in einem Sturm getötet. Er war Kapitän auf einem Handelsschiff, wie du weißt. Man sagt, der Sturm hätte die ganze Flotte vernichtet. Schlimme Zeiten, Maris. Ich habe gehört, sie befinden sich gegen Lomarron im Krieg.“
„Auf Thayos wird es über kurz oder lang auch
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