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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Achsel. Trotzdem spürte sie in der linken Schulter einen stechenden Schmerz, den sie jedoch ignorierte. Sie durfte sich aufsetzen, aber sie fürchtete, Evan würde dieses Privileg wieder zurücknehmen, wenn sie auch nur das geringste Anzeichen von Schmerz zeigte. „Einige Landstriche sind eher bewaldet, andere eher felsig.“
    Evan lachte. „Eine sehr oberflächliche Sichtweise! Für dich sind alle Teile des Waldes gleich.“
    Diese Beobachtung bedurfte eigentlich keines Kommentars. Maris blieb hartnäckig. „Du hast Thayos niemals verlassen.“
    Evan zog eine Grimasse. „Einmal“, sagte er. „Es hatte einen Unfall gegeben, ein Boot war auf die Felsen aufgelaufen und die Frau, die es gesteuert hatte, war bös verletzt. Man hat mich in einem Fischerboot zu ihr gebracht, um nach ihr zu sehen. Bei der Fahrt wurde ich so schlimm seekrank, daß ich ihr kaum helfen konnte.“
    Maris lächelte mitfühlend, aber sie schüttelte den Kopf. „Woher weißt du, daß dies der einzige Ort ist, an dem du leben möchtest, wenn du noch nie woanders warst?“
    „Ich sag’ ja nicht, daß ich es weiß, Maris. Ich hätte die Insel auch verlassen können. Mein Leben hätte ganz anders verlaufen können, aber ich habe dieses Leben gewählt. Dieses Leben kenne ich -es ist mein Leben, ob es gut ist oder schlecht. Jetzt ist es zu spät, den verpaßten Gelegenheiten nachzutrauern. Ich bin glücklich, so wie es ist.“ Er stand auf und beendete das Gespräch. „Es ist Zeit für dein Nickerchen.“
    „Darf ich …“
    „Du darfst tun und lassen was du willst, solange du flach auf dem Rücken liegst und dich nicht bewegst.“.
    Maris lachte. Sie ließ es zu, daß er ihr half, sich hinzulegen. Normalerweise hätte sie es nicht gestattet, aber das Sitzen hatte sie ermüdet, und die Ruhepause war ihr willkommen.
    Der langsame Heilungsprozeß ihres Körpers deprimierte sie. Außerdem verstand sie nicht, daß ein paar kaputte Knochen sie so leicht ermüdeten. Sie schloß die Augen und lauschte den Geräuschen, die Evan verursachte, während er das Feuer versorgte und den Raum aufräumte.
    Sie dachte an Evan. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, zumal die Umstände eine gewisse Vertraulichkeit zwischen ihnen geschaffen hatten. Einmal hatte sie sich vorgestellt, daß sie und Evan, wenn ihre Wunden erst verheilt waren, ein Liebespaar sein könnten. Jetzt, nachdem sie sein Leben kannte, wußte sie es besser. Zu oft hatte Evan sich verliebt und war verlassen worden. Sie mochte ihn sehr und hatte Angst, ihm weh zu tun. Auch wußte sie, daß sie Thayos und Evan wieder verlassen würde, sobald sie fliegen konnte. Deshalb war es besser, entschied sie, während sie einschlief, daß sie einfach Freunde blieben. Sie durfte nicht länger daran denken, wie sehr sie ihn mochte. Sie mußte seine strahlenden blauen Augen und ihre Phantasien bezüglich seines schlanken Körpers und seiner geschickten Hände verdrängen.
    Sie lächelte, gähnte und schlief ein. Sie träumte davon, wie sie Evan das Fliegen lehrte.
    Am nächsten Morgen kam S’Rella.
    Maris war schlaftrunken. Zunächst glaubte sie zu träumen. Der stickige Raum wurde plötzlich frischer und füllte sich mit einer frischen Seebrise. Maris blickte auf und sah S’Rella im Türrahmen stehen. Sie hatte die Flügel über die Arme gelegt. Einen Moment lang sah sie so aus wie das schüchterne schlanke Mädchen, das sie vor zwanzig Jahren gewesen war und dem Maris das Fliegen beigebracht hatte. Sie lächelte selbstsicher. Dieses Lächeln hellte ihr dunkles, schmales Gesicht auf, in dem die Jahre einige Falten hinterlassen hatten. Während sie auf Maris zukam und Salzwasser von ihren Flügeln und ihrer nassen Kleidung spritzte, war das Phantom „S’Rella, die Holzflüglerin“, vollkommen verschwunden. Zurückgeblieben war S’Rella von Veleth, eine erfahrene Fliegerin und Mutter von zwei erwachsenen Töchtern.
    Die beiden Frauen umarmten sich umständlich, weil die große Stütze, die Maris linken Arm schiente, im Weg war. Aber sie umarmten sich in wilder Leidenschaft.
    „Ich bin sofort gekommen, als ich es hörte, Maris“, sagte S’Rella. „Es tut mir leid, daß du so lange allein hier liegen mußtest, aber die Verständigung unter den Fliegern ist nicht mehr so gut, wie sie einmal war, besonders unter den Holzflüglern. Eigentlich wäre ich gar nicht hier, aber ich mußte eine Botschaft nach Groß Shotan bringen. Anschließend wollte ich aus einer Laune heraus den Eyrie besuchen. Es muß schon

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