Kinder der Stürme
einzige Geräusch, das zu hören war, war das Echo ihrer Schritte. Zwei Landwachen mit Fackeln führten die Gruppe an. Die Flieger trugen ihre Flügel.
Auf der anderen Seite des Berges traten sie in die kalte sternenreiche Nacht hinaus. Unter ihnen bewegte sich die See ohne Unterlaß, sie war unermeßlich groß und dunkel.
Maris stieg die Stufen zur Fliegerklippe hinauf. Sie stieg sehr langsam, aber als sie oben angekommen war, schmerzten ihre Schenkel, und ihr Atem ging schwer.
Evan ergriff ihre Hand. „Kann ich dich nicht davon abhalten zu fliegen?“
„Nein“, sagte sie.
Er nickte. „Das habe ich mir gedacht. Nun gut, dann fliege.“ Er küßte sie und ging zur Seite.
Der Landmann stand an der Klippe, von seinen Landwachen flankiert. Tya und Jem entfalteten ihre Flügel. Corina war zurückgeblieben, bis Maris sie rief. „Ich bin dir nicht böse“, sagte Maris. „Du kannst nichts dafür. Ein Flieger trägt keine Verantwortung für die Nachricht, die er bringt.“
„Danke“, sagte Corina. Ihr kleines hübsches Gesicht sah blaß aus in der Dunkelheit.
„Wenn mir etwas zustoßen sollte, bring meine Flügel nach Amberly zurück, ja?“
Corina nickte zögernd.
„Hast du vielleicht eine Ahnung, was der Landmann mit ihnen vorhat?“
„Er wird einen neuen Flieger finden. Vielleicht jemanden, der seine Flügel im Wettkampf verloren hat. Bis jemand gefunden ist … nun, Mutter ist zwar krank, aber mein Vater ist immer noch in der Lage zu fliegen.“
Maris lachte sanft. „Darin steckt eine wundervolle Ironie. Corm hat immer versucht, meine Flügel zu bekommen, und wieder einmal werde ich mein Bestes geben, damit er sie nicht bekommt.“
Corina lächelte.
Ihre Flügel waren vollends ausgebreitet. Maris fühlte den vertrauten Druck des Windes gegen die Flügel. Sie prüfte die Verbindungen und Streben und gab Corina ein Zeichen, aus dem Weg zu gehen. Dann ging sie zum Rand des Abgrundes. Dort suchte sie sich einen sicheren, Stand und sah hinab.
Die Welt drehte sich benommen, betrunken. Tief unten schlugen die Wellen gegen schwarze Felsen. Der ewige Krieg zwischen Meer und Stein dauerte an. Sie schluckte schwer und versuchte, nicht von der Klippe zu stürzen. Langsam wurde die Welt wieder fest und ruhig. Bewegungslos. Es war nur eine Klippe wie jede andere, und unten der endlose Ozean. Der Himmel war ihr Freund, ihr Geliebter.
Maris breitete die Arme aus und nahm die Haltegriffe in die Hand. Dann holte sie noch einmal tief Luft und sprang ab.
Der Absprung war gelungen. Der Wind griff sie und trug sie fort. Es war ein kalter starker Wind, ein Wind, der die Knochen zerschnitt. Aber er war nicht zornig. Nein, es war ein leichter Flugwind. Sie entspannte sich und gab sich dem Wind hin. Nun glitt sie hinab und drehte eine große elegante Kurve.
Aber die Luftwirbel trieben sie gegen der Berg. Maris konnte den Landmann und die anderen Flieger sehen. Jem entfaltete gerade seine Flügel und bereitete sich für den Absprung vor, als Maris sich entschied, eine andere Richtung einzuschlagen. Sie drehte sich und versuchte in die Kurve zu gehen.
Der Himmel schien zu taumeln und sich in Wasser verwandelt zu haben.
Sie war zu stark in die Kurve gegangen und stand einen Moment still. Dann versuchte sie, ihren Flug zu korrigieren, indem sie ihr Gewicht verlagerte und wiederum die Richtung wechselte, und kippte unkontrolliert. Sie rang nach Luft.
Das Gefühl war verschwunden. Maris schloß für einen Moment die Augen. Ihr wurde übel. Sie stürzte ab. Ihr Körper schrie. Sie stürzte. Ihre Ohren rauschten. Das Gefühl für den Wind war nicht da. Alles hatte sie gekannt: die feinen Veränderungen des Windes, Wechsel, auf die man reagieren mußte, noch bevor sie einem bewußt waren, das Gefühl für einen aufziehenden Sturm, die Vorzeichen der Windstille. Nun war nichts davon da. Sie flog durch einen endlos leeren Ozean von Luft, ohne etwas zu fühlen. Ihr wurde schwindelig. Dieser fremdartige wilde Wind hielt sie fest, ohne daß sie ihn verstand.
Ihre großen silbernen Flügel neigten sich vor und zurück, ihr Körper wurde geschüttelt. Maris öffnete wieder die Augen. Sie war verzweifelt. Sie versuchte sich selbst zu beruhigen und versuchte, nur auf Sicht zu fliegen. Aber die Felsen bewegten sich, und es war zu dunkel. Selbst die hellen kalten Sterne über ihr schienen zu tanzen und sie zu verspotten.
Ein Schwindelgefühl ergriff sie. Maris ließ die Haltegriffe los -das hatte sie noch nie zuvor getan –, nun
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