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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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flog sie nicht mehr. Sie hing nur noch unter ihren Flügeln. Dann überschlug sie sich. Sie mußte sich erbrechen und spie das Abendessen des Landmannes in den Ozean. Sie zitterte fürchterlich.
    Jem und Corina kamen hinter ihr her. Obwohl Maris sie sah, war es ihr gleichgültig. Sie war schwach, erschöpft, alt. Unter ihr waren einige Boote. Sie glitten über den schwarzen Ozean. Maris nahm die Haltegriffe wieder in die Hand und versuchte sich hochzuziehen, aber alles, was sie erreichte, war eine Wende im Fallwind, die in einem Sturz endete. Noch einmal versuchte sie, ihren Flug zu korrigieren, aber sie schaffte es nicht.
    Sie weinte.
    Die See kam immer näher. Sie glitzerte und veränderte sich ständig.
    Ihre Ohren schmerzten.
    Sie konnte nicht fliegen. Sie war eine Fliegerin. Sie war immer eine Fliegerin gewesen. Eine Geliebte des Windes, Holzflügler, Himmelskind, allein, im Himmel zu Hause, Fliegerin, Fliegerin, Fliegerin – und sie konnte nicht fliegen.
    Wieder schloß sie die Augen. Die Welt stand still.
    Mit einem Schlag und einem Sprühregen von Salzwasser hatte das Meer sie gefangen. Lange genug hat es darauf warten müssen, dachte sie. All die Jahre.
    „Laß mich allein“, sagte sie des Nachts, als sie endlich sein Haus erreicht hatten. Evan nahm sie beim Wort.
    Fast den ganzen nächsten Tag schlief Maris durch.
    Am folgenden Tag wachte sie früh auf, als das rötliche Licht des Sonnenaufgangs den Raum streifte. Sie fühlte sich schrecklich. Ihr war kalt, und sie war verschwitzt. Ein schweres Gewicht preßte ihre Brust zusammen. Einen Moment lang wußte sie nicht, woran das lag. Dann erinnerte sie sich. Ihre Flügel waren verloren. Sie versuchte über alles nachzudenken. Verzweiflung, Wut und Selbstmitleid stiegen in ihr auf. Dann rollte sie sich unter der Decke zusammen und versuchte wieder einzuschlafen. Im Schlaf mußte sie nicht daran denken.
    Aber sie konnte nicht einschlafen. Endlich stand sie auf und zog sich an. Evan war im Nebenzimmer und briet Eier. „Bist du hungrig?“ fragte er sie.
    „Nein“, sagte sie träge.
    Evan nickte und schlug zwei weitere Eier auf. Maris setzte sich an den Tisch. Als er einen Teller mit Eiern vor sie hinstellte, stocherte sie lustlos darin herum.
    Es war ein feuchter windiger Tag, der von gewaltigen Stürmen beherrscht wurde. Nachdem Evan sein Frühstück beendet hatte, ging er seinen Geschäften nach. Kurz vor Mittag verließ er sie, und Maris wanderte ruhelos durch das leere Haus. Dann setzte sie sich ans Fenster und beobachtete den Regen.
    Nach Einbruch der Dunkelheit kam Evan zurück. Er war naß und wirkte niedergeschlagen. Maris saß immer noch am Fenster eines kalten und dunklen Hauses. „Du hättest wenigstens Feuer machen können“, schimpfte Evan. Seine Stimme klang verärgert.
    „Oh“, sagte sie. Sie sah ihn verwundert an. „Es tut mir leid. Ich habe nicht daran gedacht.“
    Evan schichtete Feuerholz auf. Als Maris aufstand, um ihm zu helfen, schnauzte er sie an und schickte sie fort. Sie aßen, ohne ein Wort zu sagen, aber das Essen schien Evans Stimmung zu verbessern. Nach dem Essen goß er einen seiner Spezialtees auf und stellte die Kanne vor sie hin. Dann nahm er in seinem Lieblingssessel Platz.
    Maris kostete den heißen Tee. Ihr war bewußt, daß er sie beobachtete. Dann sah sie ihn an.
    „Wie fühlst du dich?“ fragte er sie.
    Sie überlegte, bevor sie antwortete. „Ich fühle mich tot“, sagte sie schließlich.
    „Laß uns darüber reden.“
    „Das kann ich nicht“, sagte sie und begann zu weinen. „Ich kann nicht.“
    Da sie nicht aufhören wollte zu weinen, bereitete ihr Evan einen Schlaftrunk und brachte sie ins Bett.
    Am nächsten Tag ging Maris aus.
    Sie nahm einen Weg, den ihr Evan gezeigt hatte. Ein gewundener Pfad, der nicht zu den Klippen, sondern ans Meer führte. Den ganzen Tag brachte sie damit zu, am steinigen, endlos wirkenden Strand spazieren zu gehen. Wenn sie müde wurde, hielt sie am Saum des Wassers an und warf Kiesel in die Wellen. Auf melancholische Weise gefiel es ihr, wie die Steine über das Wasser glitten und dann versanken.
    Selbst das Meer ist hier anders, dachte sie. Es war grau und kalt und wies keine Besonderheiten auf. Sie vermißte das blaue und grüne Glitzern des Wassers, das Amberly umgab.
    Tränen liefen über ihre Wangen, aber sie wischte sie nicht fort. Ab und zu bemerkte sie, daß sie schluchzte, ohne sich daran zu erinnern, wann und warum sie angefangen hatte zu weinen.
    Die See war endlos

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