Kinder der Stürme
die erste Änderung vornimmt, müssen andere folgen, bis das ganze Lied überarbeitet ist. Wie du siehst, bedingt sich alles wechselseitig.“
„Warum hat er mir dann geholfen?“
„Barrion hat immer Probleme verursacht“, sagte Coll. „Ich denke, er wollte das ganze Lied neu gestalten, um etwas Besseres daraus zu machen.“
Ihr Stiefbruder grinste sie hintergründig an. „Außerdem“, fügte er hinzu, „hat er Corm nie leiden können.“
Nach einer Woche ohne Nachrichten entschied sich Coll, nach Port Thayos zurückzukehren, um zu hören, was er tun konnte. Die Docks und Kneipen, wo er seine Kunst betrieb, waren immer eine reiche Quelle an Neuigkeiten. „Vielleicht besuche ich sogar die Festung des Landmannes“, sagte er munter. „Ich möchte ein Lied über den hiesigen Landmann schreiben, und ich bin gespannt darauf, sein Gesicht zu sehen, wenn er es hört.“
„Unterstehe dich, Coll“, sagte Maris.
Er grinste. „Ich bin doch nicht verrückt, große Schwester. Aber falls der Landmann gute Lieder zu schätzen weiß, wäre das einen Besuch wert. Vielleicht kann ich etwas lernen. Paß inzwischen bitte auf Bari auf.“
Zwei Tage später brachte ein Weinhändler einen Patienten: ein großer struppiger schwarzer Hund. Einer von zwei riesigen Hunden, die seinen Holzkarren von Dorf zu Dorf zogen. Ein Kapuzenhenker hatte das Tier angefallen und nun lag es von Blut und Dreck verschmiert zwischen den Weinschläuchen.
Evan konnte nichts mehr für das Tier tun, aber für seine Bemühungen gab ihm der Weinhändler einen Schlauch sauren roten Weins. „Sie haben diese verräterische Fliegerin verurteilt“, berichtete der Weinhändler, während sie am Kamin saßen und etwas tranken. „Sie soll hängen.“
„Wann?“ fragte Maris.
„Wer weiß? Überall treiben sich Flieger herum und ich glaube, der Landmann fürchtet sich vor ihnen. Bislang wird sie in seiner Festung gefangengehalten. Er wartet wohl ab, was die Flieger unternehmen wollen. Wenn ich an seiner Stelle wäre, hätte ich sie getötet und das Spektakel hätte ein Ende. Aber ich bin ja kein Landmann.“
Als er abfuhr, stand Maris in der Tür und beobachtete den Mann und den übriggebliebenen Hund, wie sie ihren Weg fortsetzten. Evan stellte sich hinter sie und nahm sie in den Arm. „Wie fühlst du dich?“
„Verwirrt“, sagte Maris ohne sich umzudrehen. „Ich habe Angst. Euer Landmann hat die Flieger förmlich herausgefordert. Erkennst du den Ernst der Lage, Evan? Sie müssen etwas unternehmen – sie dürfen das nicht einfach hinnehmen.“ Sie streichelte seine Hand. „Ich würde zu gern wissen, was man sich heute abend auf dem Eyrie erzählt. Ich weiß, daß ich mich nicht in die Fliegerangelegenheiten hineinziehen lassen darf, aber es fällt mir schwer …“
„Es sind deine Freunde“, sagte Evan. „Deine Betroffenheit ist verständlich.“
„Meine Betroffenheit macht alles nur noch schlimmer“, sagte Maris. „Denn …“ sie schüttelte den Kopf und sah ihn an. Noch immer lag sie in seinen Armen. „Es macht mir bewußt, wie klein meine eigenen Probleme sind“, sagte sie. „Heute nacht möchte ich nicht an Tyas Stelle sein, obwohl sie immer noch eine Fliegerin ist und ich nicht.“
„Gut“, sagte Evan. Er küßte sie zärtlich. „Mir ist es auch lieber, dich an meiner Seite zu haben, als Tya.“
Maris lächelte ihn an. Sie gingen gemeinsam ins Haus.
Mitten in der Nacht kamen vier Fremde, die wie Fischer gekleidet waren. Sie trugen schwere Stiefel, Pullover und dunkle Mützen, die mit Seekatzenfell besetzt waren. Sie hatten den starken Salzgeruch der See an sich. Drei von ihnen trugen lange Knochenmesser. Ihre Augen hatten die Farbe des Eises eines Wintersees. Der vierte ergriff das Wort. „Du erinnerst dich nicht mehr an mich“, sagte er, „aber wir sind uns schon einmal begegnet, Maris. Ich heiße Arrilan vom Gebrochenen Ring.“
Maris betrachtete ihn genau und erinnerte sich dann an einen hübschen Jüngling, den sie ein- oder zweimal getroffen hatte. Unter seinem drei Tage alten Bart war das Gesicht nicht gut zu erkennen, aber seine leuchtend blauen Augen kamen ihr bekannt vor. „Ich glaube dir“, sagte sie. „Du mußt eine weite Reise hinter dir haben, Flieger. Wo sind deine Flügel? Und deine Manieren?“
Arrilan lächelte humorlos. „Meine Manieren? Entschuldige meine Unhöflichkeit, aber ich bin in Eile und meine Reise ist äußerst riskant. Wir sind von Thrynel herübergekommen, um dich zu sprechen, und
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