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Kinder der Stürme

Kinder der Stürme

Titel: Kinder der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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„Sei bloß vorsichtig, Heiler“, sagte sie.
    „Was ist mit dem Flieger?“ sagte Maris.
    „Einige sagen, es wäre ein Geist“, sagte die Frau. Evan hatte den Dorn entfernt und rieb etwas Salbe in den Schnitt. „Vielleicht Tyas Geist. Eine Frau, ganz in schwarz gekleidet, die kein Wort spricht. Sie kam zwei Tage bevor ich aufbrach aus dem Westen. Der Wirt kam heraus, um ihr bei der Landung und beim Abnehmen der Flügel zu helfen. Aber sie landete nicht. Sie flog ruhig über die Berge und die Festung des Landmannes hinweg und setzte ihren Weg über die Felder von Port Thayos fort. Aber auch dort landete sie nicht. Seit sie das erstemal erschien, ist sie unzählige Bogen von Port Thayos zur Festung und zurück geflogen, ohne einmal zu landen oder etwas zu rufen. Sie fliegt bei Sonne und Wind, Tag und Nacht. Bei Sonnenuntergang ist sie dort und bei Sonnenaufgang. Sie ißt weder, noch trinkt sie etwas.“
    „Faszinierend“, sagte Maris und mußte sich ein Lachen verkneifen. „Denkst du, sie ist ein Geist?“
    „Vielleicht“, sagte die alte Frau. „Ich habe sie selbst oft gesehen. Während ich die Straßen von Port Thayos entlang gehe, fühle ich plötzlich, wie mich ein Schatten berührt, ich sehe hinauf, und da ist sie. Man erzählt sich inzwischen die tollsten Geschichten über sie. Die Leute haben Angst, und einige Landwachen behaupten, der Landmann fürchte sich am meisten, obwohl er es nicht zeigen will. Wenn sie über seine Festung fliegt, traut er sich nicht heraus. Vielleicht hat er Angst davor, Tyas Gesicht zu sehen.“
    Evan hatte einen mit Salbe bestrichenen Verband um den verletzten Fuß der Geschichtenerzählerin gelegt. „Fertig“, sagte er. „Versuch einmal aufzutreten.“
    Die Frau stand auf und stützte sich auf Maris. „Es tut etwas weh.“
    „Es hat eine Infektion gegeben“, sagte Evan. „Du hast Glück gehabt. Wenn du einige Tage später einen Heiler aufgesucht hättest, hättest du den Fuß vielleicht verloren. In Zukunft solltest du Stiefel tragen. Die Waldpfade sind gefährlich.“
    „Ich mache mir nichts aus Stiefeln“, sagte die Frau. „Ich liebe das Gefühl der Erde, des Grases und des Felsens unter meinen Füßen.“
    „Liebst du auch das Gefühl von Dornen in deinem Fuß?“ sagte Evan. Sie diskutierten eine Weile, bis die Frau einwilligte, einen Stoff schuh zu tragen, aber lediglich an ihrem verletzten Fuß und nur bis dieser wieder in Ordnung war.
    Nachdem sie gegangen war, wandte sich Evan lächelnd an Maris. „So fängt es an“, sagte er. „Wie kommt es, daß der Geist weder ißt noch trinkt?“
    „Sie führt einen Beutel Nüsse und Trockenobst und einen Wasserschlauch mit sich“, sagte Maris. „Auf langen Flügen tun Flieger das oft. Was glaubst du, wie wir sonst nach Artellia oder Embers fliegen könnten?“
    „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“
    Maris nickte, aber sie war völlig in Gedanken versunken. „Ich vermute, daß sie heute nacht heimlich einen anderen Geist einsetzen, damit sich der erste ausruhen kann. Sehr schlau von Val, jemanden zu nehmen, der Tya ähnelt. Da hätte ich auch selbst drauf kommen können.“
    „Du hast schon genug bedacht“, sagte Evan. „Du hast dir nichts vorzuwerfen. Was machst du für ein finsteres Gesicht?“ „Ich wünschte“, sagte Maris, „daß ich der Flieger wäre.“
    Zwei Tage später klopfte ein kleines Mädchen an ihre Tür. Sie gehörte zu der Familie, die Evan so verpflichtet war, deshalb fürchtete Maris einen Moment, die Landwachen wären hinter ihr her. Aber sie brachte lediglich einige Neuigkeiten, denn Evan hatte darum gebeten, daß man ihn über jegliche Gerüchte aus Thossi informierte.
    „Ein Händler war in der Stadt“, sagte das kleine Mädchen. „Er erzählte von den Fliegern.“
    „Was hat er über sie erzählt“, fragte Maris.
    „Er sagte, er hätte dem alten Mullish in der Kneipe erzählt, daß der Landmann Angst habe. Es gäbe drei von ihnen, sagte er. Drei schwarze Flieger, die immer ihre Kreise ziehen.“ Sie stand auf und streckte ihre kleinen Arme aus, um ihnen zu zeigen, was sie meinte. Maris sah Evan an und lächelte.
    „Jetzt sind es schon sieben schwarze Flieger“, erzählte ihnen ein großer dicker Mann. Völlig ausgemergelt und blutend hatte er vor ihrer Tür gestanden. Er war ein ehemaliger Landwächter, der in Lumpen gekleidet war. „Sie wollten mich nach Thrane schicken“, erklärte er, „aber ich will verdammt sein, wenn ich dort hin gehe.“ Wenn er nicht

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