Kinder der Stürme
Veränderung sofort gespürt. Und sie hörte eine steife Brise klagend über den felsigen Rand der Klippe pfeifen. Aber vor allem sah sie deutlich, wie Coli über den Wellen dahin taumelte. Er sackte ab, kämpfte sich nach oben, begann wieder zu trudeln. Jemand schrie entsetzt auf. Dann hatte er sich endlich auf den Wind eingestellt und flog langsam und unsicher auf die Menge zu. Der Wind blies wütend und trieb ihn voran. Ein Flieger mußte ihn bezwingen, besänftigen und unterwerfen. Coli rang mit dem Wind, der ihn zu überwältigen drohte.
„Der Junge ist in Schwierigkeiten“, sagte Corm. Der gutaussehende Flieger spreizte mit einem Ruck die restlichen Segmente seiner Flügel. „Ich werde ihm helfen“, sagte er und sprang in den Wind.
Aber die Hilfe würde zu spät kommen. Coli schwang seine Flügel vor und zurück und nahm wieder Kurs auf den Strand, als er plötzlich in eine Turbulenz geriet. Ohne daß ein Wort gefallen wäre, hatte sich die Gesellschaft entschieden, Coli am Strand entgegenzugehen. Allen voran Maris und ihr Vater.
Coli verlor zu schnell an Höhe. Er glitt nicht mit dem Wind, sondern wurde von ihm getrieben. Während er herabsank, begannen seine Flügel zu flattern. Eine Flügelspitze fegte über den Boden, die andere war steil nach oben gerichtet. Falsch, falsch, total falsch. Als die Gesellschaft am Strand angekommen war, gab es eine mächtige Staubwolke. Metall knirschte und zerbrach. Coli war gelandet. Er lag im Sand.
Aber sein linker Flügel war zerbrochen.
Russ erreichte ihn als erster. Er kniete über ihm und löste die Gurte, während die anderen um sie herum standen. Coli richtete sich etwas auf. Er zitterte am ganzen Körper. Tränen standen ihm in den Augen.
„Nichts passiert“, sagte Russ beschwichtigend. „Es war nur eine Strebe, mein Sohn. Die brechen schnell. Das werden wir gleich haben. Du hast ein bißchen gezittert, aber wir haben alle einmal angefangen. Das nächste Mal wird es schon besser gehen.“
„Das nächste Mal, das nächste Mal!“ schrie Coli. „Ich kann es nicht, ich kann nicht, Vater. Ich möchte nicht noch einmal fliegen. Ich möchte deine Flügel nicht.“ Er weinte bitterlich, und sein Körper wurde von Schluchzern geschüttelt.
Die Gäste standen schweigend da. Die Flügel lagen nun ausgebreitet zu seinen Füßen. Zerbrochen und im Augenblick nicht zu gebrauchen. Heute Nacht würde es keinen Flug nach Eyrie geben.
Der Vater streckte seinen gesunden Arm aus, packte seinen Sohn an der Schulter und schüttelte ihn. „Was sagst du da? Was sagst du da? Ich höre mir deinen Unsinn nicht länger an. Du wirst fliegen, oder du bist nicht mehr mein Sohn.“
Colls Widerstand war plötzlich gebrochen. Er nickte und kämpfte gegen die Tränen an. „Ja, Vater“, sagte er und blickte auf. „Es tut mir leid. Ich war nur etwas durcheinander; ich hab’s nicht so gemeint.“ Er ist gerade dreizehn Jahre alt, dachte Maris, die alles aus der Menge heraus beobachtet hatte. Dreizehn Jahre, verwirrt und ganz und gar kein Flieger. „Es ist mir nur so rausgerutscht. Ich hab’s wirklich nicht so gemeint.“
Plötzlich hörte Maris sich sagen: „Doch, es war so gemeint.“ Sie erinnerte sich an Colls Lied über Rabe und an ihren Entschluß. Die Festgesellschaft drehte sich zu ihr um und sah sie entsetzt an. Shalli legte ihr die Hand auf den Arm, um sie zurückzuhalten. Aber Maris riß sich los und stellte sich zwischen Coli und ihren Vater.
„Er hat es so gemeint“, sagte sie ruhig. Ihre Stimme klang ruhig und selbstsicher, aber ihr Herz zitterte. „Hast du es nicht selbst gesehen, Vater? Er ist kein Flieger. Er ist ein guter Sohn, und du solltest stolz auf ihn sein, aber er wird den Wind niemals lieben. Es ist mir gleich, was das Gesetz vorschreibt.“
„Maris“, sagte Russ, und seine Stimme klang hart und verletzt. „Du würdest deinem Bruder die Flügel nehmen? Ich dachte, du würdest ihn lieben.“
Noch vor einer Woche hätte sie jetzt geweint, aber nun hatte sie keine Tränen mehr. „Ich liebe ihn und wünsche ihm ein langes, glückliches Leben. Als Flieger wird er allerdings niemals glücklich sein. Er fliegt nur, um deinen Stolz nicht zu verletzen. Coli ist ein Sänger, und zwar ein guter. Warum willst du ihm die Art zu leben nehmen, die er liebt?“
„Ich nehme ihm nichts“, sagte Russ kühl. „Tradition …“
„Eine überholte Tradition“, unterbrach eine andere Stimme. Maris sah sich nach ihrem Verbündeten um. Barrion bahnte sich
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