Kinder der Stürme
Barrion sang von den Sternenseglern und ihren großen Schiffen mit den Silbersegeln, die sich über Hunderte von Meilen erstreckten, um die wilden Sternenwinde einzufangen. Die ganze Geschichte entfaltete sich. Der rätselhafte Sturm, das beschädigte Schiff, die Toten auf Zeit in ihren Särgen. Dann waren sie vom Kurs abgekommen und hierher verschlagen worden, auf eine Welt des endlosen Ozeans und des brausenden Sturms. Auf eine Welt, wo das Land aus Tausenden verstreuten Inseln bestand und der Wind ständig blies. Das Lied erzählte von der Landung eines Schiffes, das nicht zur Landung bestimmt war, vom Tod Tausender in ihren Särgen, und wie das Segel -kaum schwerer als Luft – auf der Wasseroberfläche trieb und das Meer um die Shotans in Silber verwandelte. Barrion sang von den Zauberkräften der Sternensegler und ihrem Traum, das Schiff zu reparieren. Und er sang von dem langsamen, von Verzweiflung begleiteten Zerfall dieses Traumes. Er verharrte melancholisch bei der schwindenden Kraft ihrer Zaubermaschinen, dem Schwinden, das in Dunkelheit endete. Er sang von der letzten Schlacht vor Groß Shotan, als der alte Kapitän mit seinen Gefolgsleuten versuchte, die wertvollen Metallsegel gegen die Söhne zu verteidigen. Dann, unter Aufbringung des letzten Zaubers, teilten die Söhne und Töchter der Sternensegler, die ersten Kinder von Windhaven, die Segel in einzelne leichte, dehnbare Stücke. Und aus jedem Stück Metall, das sie aus dem Schiff lösen konnten, stellten sie die Streben für die Flügel her.
Denn die verstreut lebenden Menschen auf Windhaven brauchten Kommunikationsmöglichkeiten. Ohne Treibstoff, ohne Metall und angesichts der stürmischen Ozeane voller Raubtiere, auf einer Welt gestrandet, die nur ihre mächtigen Winde umsonst hergab, fiel die Entscheidung leicht.
Die letzten Akkorde verklangen. Die armen Segler, mußte Maris die ganze Zeit denken. Der alte Kapitän und seine Mannschaft waren auch Flieger gewesen, ihre Flügel waren Sternenflügel. Aber ihre Art zu fliegen hatte keinen Bestand, deswegen mußte nach einer neuen Möglichkeit gesucht werden.
Als jemand ein neues Lied wünschte, lachte Barrion und begann zu spielen. Er sang noch ein halbes Dutzend Lieder über die alte Erde, dann blickte er schüchtern in die Runde und stimmte eine Eigenkomposition an. Ein zotiges Trinklied über eine liebestolle Szylla, die ein Fischerboot mit ihrem Geschlechtspartner verwechselte. Maris hörte kaum zu. In Gedanken war sie immer noch bei den Sternenseglern. Irgendwie waren sie wie Holzsegler, dachte sie. Sie konnten ihrem Traum nicht entsagen. Und das hieß, sie mußten sterben. Ein hoher Preis. Ob sie ihn für gerechtfertigt hielten?
„Barrion“, rief Russ, der auf dem Boden saß, „wir feiern ein Flugjährigkeitsfest. Sing uns ein paar Fliegerlieder!“
Der Sänger nickte lachend. Maris bückte zu Russ hinüber. Lächelnd stand er am Tisch, ein Glas Wein in der gesunden Hand. Er ist stolz, dachte sie. Sein Sohn wird bald ein Flieger sein. Aber mich hat er vergessen. Sie fühlte sich elend und gedemütigt.
Barrion gab nun ein paar Fliegerlieder zum besten. Balladen von den Äußeren Inseln, von den Shotans, von Culhall und den Amberlys und Poweet. Er sang von den Geisterfliegern, die über der See verschollen waren, weil sie dem Landmann-Captain gehorcht und Schwerter mit hinauf in den Himmel genommen hatten. Bei Windstille konnte man sie immer noch auf Phantomflügeln hoffnungslos am Himmel umherirren sehen. So jedenfalls lautete die Legende, aber Flieger, die der Windstille zum Opfer gefallen waren, kamen selten zurück, um von ihren Erlebnissen zu berichten, deshalb kannte kaum jemand die Wahrheit.
Er sang auch das Lied von dem weißhaarigen Royn, der älter als achtzig Jahre war, als er die Leiche seines Enkels fand, der in einem Liebesduell getötet worden war. Und der alte Mann nahm sich die Flügel, um den Mörder zu jagen und zu toten.
Er sang auch das traurigste Lied von allen. Das Lied von Jeni und Aron. Jeni war eine Landgebundene, schlimmer noch, ein verkrüppeltes Mädchen, das nicht einmal laufen konnte. Sie lebte bei ihrer Mutter, einer Waschfrau. Täglich saß sie am Fenster und beobachtete die Sprungklippe auf Klein Shotan. Sie verliebte sich in Aron, einen stolzen, fröhlichen Flieger, und in ihren Träumen erwiderte er ihre Liebe. Aber eines Tages, als sie allein zu Hause war, sah sie ihn am Himmel mit einem anderen Fheger herumtollen – einer Frau mit feuerroten
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