Kinder der Stürme
einen Weg durch die Menge. „Maris hat recht, Coli singt wie ein Engel, aber wie er fliegt, haben wir alle gesehen.“ Verächtlich sah er die herumstehenden Flieger an. „Ihr Flieger seid Gewohnheitstiere, blind folgt ihr alten Traditionen, ganz gleich wen sie treffen.“
Corm war fast unbemerkt gelandet und hatte seine Flügel aufgefaltet. Er stand vor ihnen, sein Gesicht war rot vor Wut. „Die Flieger und ihre Tradition haben Amberly berühmt gemacht, und sie haben die Geschichte von Windhaven geprägt. Es spielt keine Rolle, wie gut du singst, Barrion, du fällst nicht unter das Gesetz der Flieger.“ Er sah Russ an und fuhr fort. „Sei unbesorgt, mein Freund, wir machen deinen Sohn zum besten Flieger, den Amberly je gesehen hat.“
Aber in diesem Moment sah Coli auf. Sein tränenüberströmtes Gesicht zeigte Zorn und Entschlossenheit. „Nein!“ schrie er und sah Corm herausfordernd an. „Du wirst mich nicht dazu zwingen, etwas zu sein, was ich nicht sein will, ganz gleich wer du bist. Ich bin weder ein Feigling, noch ein Baby, aber ich will nicht fliegen. Ich will nicht. “ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Jetzt, wo sein Geheimnis gelüftet war, waren auch seine Hemmungen gefallen. Er schrie sie laut in den Wind. „Ihr Flieger glaubt, etwas Besonderes zu sein, alle anderen könnten euch nicht das Wasser reichen, aber das stimmt nicht. Barrion hat Hunderte von Inseln besucht, und er kennt mehr Lieder als ein Dutzend Flieger zusammen. Deine Meinung interessiert mich nicht im geringsten. Er ist kein Landgebundener, sondern wagt es, mit dem Boot zu fahren, im Gegensatz zu euch. Ihr Flieger fürchtet euch vor den Szyllas, aber Barrion hat eine mit seiner Harpune getötet. Ich wette, davon hattest du keine Ahnung.
Ich möchte so sein wie er, und ich habe das Talent dazu. Er will zu den Äußeren Inseln reisen und mich mitnehmen. Und er hat mir versprochen, daß ich eines Tages seine Gitarre bekomme. Er weiß, was Fliegen heißt, und kann es mit wundervollen Worten beschreiben. Aber er besingt auch das Fischen und Jagen und alles andere. Flieger können das jedoch nicht. Er ist Barrion, der Sänger. Und er ist genausoviel wert wie ein Flieger. Ich möchte es ihm gleichtun. Heute Nacht, als ich das Lied über Rabe sang, habe ich bewiesen, daß ich das kann.“ Er blickte Corm haßerfüllt an. „Nimm diese alten Flügel und gib sie Maris. Sie ist der Flieger“, rief er und trat mit dem Fuß gegen das schlaffe Gewebe. „Ich werde mit Barrion fortgehen.“
Eine unheimliche Stille trat ein. Russ stand eine ganze Weile schweigend da und bückte seinen Sohn an. Sein Gesicht schien um Jahre gealtert.
„Er hat nicht über die Flügel zu entscheiden, Coli“, sagte er. „Sie gehörten mir, meinem Vater und vor ihm seiner Mutter und ich wollte … ich wollte …“ Seine Stimme versagte.
„Du bist dafür verantwortlich“, sagte Corm wütend und warf Barrion einen verächtlichen Blick zu. „Und du, ja du, seine eigene Schwester“, fügte er hinzu und starrte Maris durchdringend an.
„Ja, du hast recht, Corm“, erwiderte sie. „Wir, Barrion und ich, tragen die Verantwortung, weil wir Coli lieben und möchten, daß er glücklich und lebendig bleibt. Die Flieger sind der Tradition schon zu lange gefolgt. Barrion hat recht, verstehst du das nicht? Jedes Jahr müssen schlechte Flieger die Flügel von ihren Eltern übernehmen und damit sterben. Und das ist ein unersetzlicher Verlust für Windhaven, denn die Flügel gehen dabei für immer verloren. Wie viele Flieger gab es in den Tagen der Sternensegler? Wie viele gibt es heute? Siehst du nicht, was die Tradition anrichtet? Die Schwingen sind sehr kostbar, und sie sollten nur von jenen getragen werden, die den Himmel lieben, von jenen, die am besten fliegen und sie bewahren. Aber stattdessen entscheidet die Geburt darüber, wer die Flügel tragen darf. Die Herkunft und nicht das Talent. Aber das Talent ist das einzige, was einen Flieger vor dem Tod bewahren kann und das einzige, was die Inseln von Windhaven miteinander verbindet.“
Corm schnaufte. „Das ist eine Schande. Du bist kein Flieger, Maris. Du hast nicht das Recht, über diese Dinge zu entscheiden. Deine Worte beleidigen den Himmel, und du verstößt gegen die Tradition. Nun gut, wenn dein Bruder keinen Gebrauch von seinem Geburtsrecht machen will, ist das seine Sache. Aber er darf sich nicht über unsere Gesetze hinwegsetzen und die Flügel jemandem seiner Wahl geben.“ Er sah sich in
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