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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nichts war mehr wirklich.
    Arvid zog sie hoch. Wie fest sein Griff war!
    »Beeil dich!«, rief er.
    Ich darf mich nicht von einem Mann berühren lassen, fuhr es ihr durch den Kopf, aber bevor sie sich dagegen wehrte, schob sich ein anderer Gedanke in den Vordergrund: Ich will nicht sterben.
    Mathilda blickte sich um. Das Kloster war plötzlich kein fremder Ort mehr. Gleich in der Nähe war das Haus der Äbtissin, gegenüber davon die Kapelle, von der aus der Weg frei war zu den Getreidekammern und dem Keller. Sie begriff jedoch nicht, warum die Krieger nicht längst schon in diesen Gebäuden wüteten, warum sie die Nonnen erschlugen, anstatt aus der Kapelle Monstranzen, Goldgefäße und Kruzifixe zu schleppen und aus den Vorratsräumen Fleisch, Mehl und Wein.
    »Schneller!«, schrie Arvid. Er hatte sie ganz dicht an sich gezogen. Ihren eigenen Herzschlag hörte sie nicht mehr, aber seinen umso lauter, hörte auch seinen keuchenden Atem, spürte, wie schweißnass seine Hände waren.
    Er lebte noch. Und sie auch.
    Gemeinsam erreichten sie den Getreidespeicher. Die Abgaben, die die Pächter der umliegenden Klosterländereien brachten, wurden hier aufbewahrt – Säcke voller Mehl und Getreide, auch Strohballen. Arvid blickte sich suchend um, dann stieß er sie in Richtung der Ballen. Sie schwankte, fiel, und ehe sie sich aufrichten konnte, hatte er schon ein paar Ballen auf sie geworfen. Halme stachen ihr ins Gesicht, ihre Brust wurde eng.
    »Bleib ruhig liegen!«, herrschte er sie an, als sie sich befreien wollte. »Vielleicht können wir uns hier verstecken.«
    Sie erstarrte. Vielleicht … er hatte gesagt vielleicht …
    Vielleicht sind wir hier in Sicherheit, vielleicht auch nicht. Vielleicht werden sie uns entdecken, werden mich schänden, werden mich töten oder zur Sklavin machen, vielleicht werden sie …
    »Still!«, zischte Arvid.
    Hatte sie etwa laut geredet?
    »Sei doch still!«
    Nein, er meinte etwas anderes – das laute Klappern ihrer Zähne.
    Mit aller Macht presste sie die Kiefer aufeinander und versuchte, sich darauf zu konzentrieren, Luft zu bekommen. Unter dem Stroh begann ihr heiß zu werden, doch sie erstickte nicht, sie war noch fähig zu denken.
    Die Normandie ist doch ein christlicher Ort, dachte sie. Die Heiden, die das Land einst überfallen haben, haben sich doch taufen lassen und werden vom gleichfalls christlichen Graf Wilhelm regiert, der das Land vor dem Eindringen neuer Banden schützt. Warum suchen diese Dämonen das Kloster heim? Und warum hat einer von ihnen, wahrscheinlich der Anführer, befohlen: »Findet sie!«?
    Plötzlich ertönte ein Knistern, und als sie Arvid neben sich stöhnen hörte, wusste sie, was es zu bedeuten hatte. Die Krieger begnügten sich nicht länger damit, ihre Mitschwestern abzuschlachten, sondern hatten überdies ein Feuer gelegt. Wenn das Feuer auf die Strohballen übergriff, würden auch sie in Flammen aufgehen. Wenn sie aber vor dem Feuer flohen, würden sie den Männern in die Hände und somit direkt in ihr Verderben laufen.
    Arvid hielt den Atem an und vermeinte kurz, auf diese Weise gleichsam die Zeit und den Lauf der Welt anzuhalten. Das Feuer würde sich nicht ausbreiten, die Männer nicht noch mehr Schwestern niederstrecken. Doch weder das Klirren der Waffen noch das Geschrei der Nonnen oder das Knistern erstarb. Es kam lediglich nicht näher.
    Er atmete aus, wieder ein, glaubte, in der Hitze ersticken zu müssen. Anders als er zitterte Mathilda, die junge Nonne, am ganzen Leib. Nur ihr Zähneklappern hatte sie unterdrückt – und den Drang zu fliehen. Und wenn sie ihm widerstehen konnte, konnte er das auch.
    Arvid drehte ein wenig den Kopf und sah in ihr blasses Gesicht mit den weit aufgerissenen dunklen Augen. Ohne recht zu wissen, was er tat und warum, tastete er nach ihrer Hand und drückte sie. Es kam kein Klagelaut über ihre Lippen, und es regte sich auch kein Widerstand in ihr. Ihr ging es wohl wie ihm: Jeden Schmerz wollte sie ertragen, jede befremdliche, weil nicht gestattete Nähe, solange sie nur nicht allein war.
    Wie jung sie ist, dachte er, wie zart und wie schön, mit ihrem herzförmigen Gesicht, der hellen Haut, den großen tiefgründigen Augen. Ob auch die Haare unter dem Schleier dunkel waren?
    Nie hätte er sich das zu fragen getraut, lägen sie nicht unter Strohballen begraben, nie hätte er sich über die Schönheit einer Frau Gedanken gemacht, teilte er mit dieser nicht die Todesangst. Aber jetzt brachte der Gedanke Labsal und

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