Kinder des Feuers
Sprache?«
»Nein, nein«, er schüttelte den Kopf, »was immer du zu verstehen glaubtest, du hast es falsch gedeutet. Falls überhaupt, haben sie gerufen: ›Findet ihn!‹ Es ging um mich.«
Sie hatte begonnen, hin- und herzulaufen, nun stellte er sich ihr in den Weg und zwang sie, ihn anzusehen.
»Ist es wahr?«, fragte sie. »Dass deine Mutter nicht irgendeine Fränkin ist, sondern die Tochter von König Karl?«
Dieses Geheimnis, erst vor kurzem enthüllt, hatte ihn in den letzten Tagen tief beschämt. Jetzt machte es ihm nichts aus, dass sie es aussprach. Jetzt war nichts schrecklicher als die Erinnerung an die toten Ordensschwestern.
»So ist es«, gab er unumwunden zu, »und der jetzige König Ludwig, dem Blut nach mein Onkel, sieht offenbar eine Bedrohung in mir. Er hat erst fränkische Krieger ausgeschickt, mich zu töten, und nun … Bretonen.«
»Seit wann dienen Bretonen König Ludwig?«
Dies war in der Tat seltsam. Aber er hatte in letzter Zeit zu oft gedroht, an der Welt verrückt zu werden, um sich nun über etwas zu wundern, was eigentlich nicht sein konnte. Alles konnte sein. Nichts schenkte letztgültige Sicherheit.
»Ich weiß es nicht«, murmelte er.
Das Blut auf Mathildas Kutte war eingetrocknet und hatte sich dunkel verfärbt. Wenn man nicht wusste, was geschehen war, hätte man meinen können, sie wäre gestürzt und mit Erde beschmutzt.
»Und nun«, fragte sie, »wie geht es weiter? Nicht weit von hier ist das Nachbarkloster der Mönche.«
Arvid lauschte, vernahm ein Knacken, dann ein Rascheln. Menschen?
Er schüttelte den Kopf. »Wer weiß, ob sie dieses nicht auch überfallen haben. Wir müssen im Wald bleiben. Hier sind wir geschützt, falls sie uns verfolgen.«
Er starrte auf die Bäume, die feindselig wirkten und einer dunklen Wand glichen, die eher einsperrte denn vor Feinden bewahrte.
»Komm!«, rief er trotzdem.
Wieder zog er sie weiter, und wider Erwarten griffen die Äste nicht nach ihnen. Der Wald war doch nicht feindselig, sondern gleichgültig, und er war ein Labyrinth, kein Gefängnis.
»Wer immer diese Krieger schickte und warum«, stammelte Mathilda, »es waren keine Christen, sondern Heiden. Sonst hätten sie niemals so brutal Nonnen getötet!«
Arvid war sich dessen nicht mehr so sicher. In den letzten Wochen hatte er nicht nur erfahren, wer er war, sondern auch, dass selbst fromme Christen töteten … Aber ob Christen oder nicht – warum waren es Bretonen?
»Vielleicht haben sich einige Bretonen mit Ludwig verbündet«, murmelte er.
»Ich weiß nichts über die Bretagne. Warum habe ich trotzdem die Sprache verstanden, die dort gesprochen wird?«
Arvid zuckte die Schultern. Ganz gleich, in welcher Sprache – es tat gut zu reden. Es tat gut, den Beweis anzutreten, dass sie nach allem noch Menschen waren, die denken konnten, Wissen weitergeben und Entscheidungen treffen.
»Die Bretagne war einst ein mächtiges Herzogtum. Doch nach dem Tod des letzten großen Herrschers ist das Land zerfallen. Die mächtigen Familien lagen so lange miteinander im Streit um sein Erbe, dass sie schließlich zu geschwächt waren, den Nordmännern, die das Land erobern wollten, etwas entgegenzusetzen. Sie gingen reihenweise ins Exil. Auch von den dortigen Klöstern heißt es, sie seien verwüstet und stünden leer, weil die Mönche ihre Reliquien eingepackt und in den Osten geflohen sind.«
Mathilda schluchzte plötzlich auf, gewiss nicht vom Schicksal der bretonischen Mönche bewegt, sondern vom eigenen, das deren glich – nur dass sie keine Zeit mehr gehabt hatten, Reliquien mitzunehmen, und es auch nicht gewiss war, in welche Himmelsrichtung sie flohen. Sie wussten nicht, wo Osten war, die Sonne stand tief um diese Jahreszeit, und der Wald war zu dicht, um ihren Stand ausmachen zu können. Sie wussten nicht, wie es weitergehen sollte.
Arvid lief dennoch unbeirrt weiter. Solange er lief, hatte er das Gefühl, Herr der Lage zu sein. Und solange er sprach, hatte er das Gefühl, den Ereignissen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. »Auch die Nordmänner konnten sich nicht lange in der Bretagne halten, denn …«
Er verstummte, als er ein Geräusch vernahm, das sich vom Rascheln und Knacken unterschied. Da war … Hufgetrappel.
Mathilda wurde blass und öffnete den Mund, um zu schreien, doch rasch presste Arvid seine Hand auf ihre Lippen, um den Laut zu ersticken. Ihre Haut war so kalt und ihre Lippen waren so weich.
Das Hufgetrappel kam näher. Erst als der Boden unter
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