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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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nur ein paar Augenblicke, dann kann ich direkt zu ihm sprechen, aus deinem Körper. Bist du einverstanden? Wenn er nämlich hört ...«
    »Ist mir recht«, sagte sie. »Es ist ja nur für 'n kurzen Moment.«
    »Na, und weißt du, was die Imitation sagen wird? Sie wird sagen: ›Uns ist für unsere Torheit eine schreckliche Lehre erteilt worden. Das ist die Weise, auf die Gott uns sehen lehrt.‹ Und weißt du, wer das ist? Das ist der Priester, der immer in der Kirche gepredigt hat, als Hoppy noch 'n Säugling war und sein Vater ihn auf dem Rücken in die Kirche gebracht hat. Hoppy erinnert sich noch daran, obwohl's vor vielen, vielen Jahren gewesen ist, denn das war das scheußlichste Vorkommnis in seinem ganzen Leben. Weißt du, warum? Der Priester hat dafür gesorgt, daß alle Leute in der Kirche sich nach Hoppy umdrehten und ihn anstarrten, und das war falsch, danach ist Hoppys Vater nie wieder in die Kirche gegangen. Zum größten Teil ist das der Grund, weshalb Hoppy heute so ist, wie er eben ist, daran ist der Priester schuld. Deshalb hat er wirklich mordsmäßiges Grauen vor dem Priester, und wenn er nun wieder seine Stimme hört ...«
    »Halt jetzt den Mund«, sagte Edie mit verzweifelter Eindringlichkeit. Sie befand sich nun oberhalb von Hoppys Haus; sie sah drunten die Lichter. »Bitte, Bill. Bitte.«
    »Aber ich muß dir die Sache doch erklären«, plapperte Bill trotzdem weiter. »Wenn ich ...«
    Er verstummte. In Edies Körper war plötzlich nichts mehr von ihm zu spüren. Ihr Unterleib war auf einmal leer.
    »Bill«, sagte sie.
    Er war fort.
    Da sah sie vor sich im Mondschein ein Etwas schaukeln, das sie noch nie gesehen hatte. Es stieg senkrecht empor, zappelte, und langes, helles Haar wehte ihm nach wie ein Schweif; es erhob sich, bis es genau vor ihrem Gesicht schwebte. Es besaß winzige, tote Augen, einen offenen Mund, bestand fast nur aus einem harten, runden Kopf, einem Fußball ähnlich. Aus seinem Mund kam ein Quietschlaut, und dann flog es, ganz wie abgeschossen, weiter aufwärts. Sie blickte ihm nach, während das Geschöpf Zusehens an Höhe gewann, mit Bewegungen, als sei es ein Schwimmwesen, über die Wipfel der Bäume hinausschwirrte, in die unvertraute Atmosphäre hinaufsauste, die es zuvor nie kennengelernt hatte.
    »Bill«, sagte sie, »er hat dich aus mir rausgeholt. Er hat dich nach draußen versetzt.« Und da gehst du nun hin, fügte sie in Gedanken hinzu. Hoppy läßt dich wegfliegen. »Komm zurück«, rief sie, aber es war sowieso ohne Bedeutung, was jetzt mit ihm geschah, denn er konnte außerhalb ihres Körpers nicht leben. Sie wußte es, Dr. Stockstill hatte es gesagt. Er konnte nicht geboren werden, und Hoppy mußte das gehört haben und hatte ihm nun doch so etwas wie eine Geburt eingebrockt, weil er darüber Klarheit besaß, dann würde Bill sterben.
    Jetzt wirst du deine Imitation nicht mehr abziehen können, dachte sie. Ich habe dir gesagt, daß du still sein sollst, aber du hast ja nicht auf mich hören können. Sie strengte ihre Augen an und sah – oder meinte es zu sehen – das winzige, feste Ding mit den langen Haarsträhnen nun hoch droben genau über sich ... dann war es ohne irgendeinen Laut vollends verschwunden.
    Sie war allein.
    Wozu sollte sie jetzt noch weitergehen? Alles war vorbei. Sie machte kehrt, klomm wieder den Hügel hinauf, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen; sie ahnte den Rückweg mehr, als sie ihn wahrnahm. Zurück nach Hause wollte sie, in ihr Bett. Ihr Inneres war wund; sie spürte die Stelle, wo Hoppy ihren Bruder herausgerissen hatte. Wärst du bloß ruhig gewesen, dachte sie. Er hätte uns nicht gehört. Ich habe es dir doch gesagt, ich habe es dir ja gesagt.
    Sie stapfte durch die Nacht heimwärts.

    Bill Keller schwebte in der Luft, sah ein wenig, hörte ein bißchen, spürte die Bäume und die Tiere, die unter ihnen lebten und sich regten. Er fühlte den Druck auf sich einwirken, den Schub, der ihn durch die Luft rasen ließ und in die Höhe hob, aber er besann sich nichtsdestotrotz auf die beabsichtigte Imitation und setzte seine Absicht in die Tat um. Das erste Mal drang seine Stimme aus seinem Mund schrill hinaus in die kühle Luft; dann hörte er sie mit den eigenen Ohren und schrie sofort mit wahrer Begeisterung los.
    »Uns ist für unsere Torheit eine schreckliche Lehre erteilt worden«, schimpfte er, und seine Stimme hallte ihm in den Ohren wider, daß er seine reine Freude daran hatte.
    Der Druck ließ nach; er hüpfte kurz

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