Kinder des Holocaust
Statik.
»Na, meine lieben Freunde«, sagte der Phokomelus urplötzlich mit einer Stimme, die der Dangerfields genau glich, »was haben wir hier denn noch zu unserer Unterhaltung?«
Die Nachahmung war so vollkommen, daß mehreren Anwesenden ein Keuchen entfuhr. Andere klatschten, und Hoppy lächelte. »Hast du noch mehr solche Spaße auf Lager?« rief der Apotheker. »Gefällt mir.«
»Noch mehr Späße auf Lager?« wiederholte der Phokomelus, diesmal mit der weinerlich-zimperlichen Stimme des Apothekers. »Gefällt mir.«
»Nein, ich möchte ihn Dangerfield nachmachen hören«, sagte Cas Stone. »Los, Hoppy, bring noch ein bißchen mehr davon, komm.«
Der Phokomelus wendete sein Mobil und wandte sich seinem Publikum zu. »Huuudi-huudi-hu«, machte er in dem gedämpften, wohlgemuten Tonfall, den alle so gut kannten. June Raub stockte der Atem; sie war unheimlich, diese Begabung des Phokos zum Nachahmen. Sie flößte ihr stets Beunruhigung ein. Wenn sie die Augen schloß, konnte sie sich tatsächlich mühelos vorstellen, es sei der echte Dangerfield, der da redete, als könnten sie ihn noch empfangen. Sie machte die Augen zu, ließ sich absichtlich auf die Täuschung ein. Er ist nicht krank, sagte sie sich, er muß nicht sterben. Hör ihm zu. »Ich habe hier 'n schwachen Schmerz in der Brust«, raunte die Stimme, wie um auf ihre Gedanken einzugehen, »aber er ist eigentlich nicht so schlimm. Sorgt euch nicht, Freunde. Wahrscheinlich nur gereizter Magen. Zu gut gegessen. Und was nehmen wir dagegen? Kann sich einer von euch noch erinnern?«
»Ich weiß es«, rief jemand unter den Zuhörern. »Dagegen nimmt man Alka Seltzer.«
»Huuudi-huudi-Jiu«, sang die Stimme herzhaft. »Völlig richtig. Ein Pluspunkt für euch. Und nun will ich euch 'n heißen Tip geben, wie man Gladiolenknollen den ganzen Winter hindurch aufbewahren kann, ohne befürchten zu müssen, daß sich irgendwelches widerwärtiges Ungeziefer daran vergreift. Man wickelt sie ganz einfach fest in Alufolie.«
Etliche Anwesende im Saal klatschten Beifall. »Das ist genau das, was Dangerfield auch gesagt hätte«, hörte June Raub jemanden in ihrer Nähe dazu anmerken; es war der Brillen mann aus Bolinas. Sie schlug die Augen auf und sah seine Miene. So muß ich auch dreingeschaut haben, dachte sie, als ich eines Abends zum erstenmal gehört habe, wie Hoppy Dangerfield imitiert.
»Und jetzt möchte ich ein paar Kunststückchen vorführen, die ich mir ausgedacht habe«, sagte Hoppy nunmehr, noch immer mit Dangerfields Stimme. »Ich glaube echt, liebe Freunde, daß ihr daran mächtig Spaß haben werdet. Schaut her!«
Eldon Blaine, der Brillenmann aus Bolinas, sah zu, wie der Phokomelus eine Münze ein ganzes Stück von seinem Mobil entfernt auf den Fußboden legte und seine Greifwerkzeuge zurückzog. Hoppy konzentrierte sich auf die Münze, murmelte währenddessen nach wie vor in Dangerfields Tonfall daher, und auf einmal rutschte sie mit einem Scharren über den Boden auf ihn zu. Die Leute im Saal klatschten. Der Phokomelus nickte ihnen zu, indem er vor Freude errötete, dann legte er die Münze zurück auf den Fußboden, diesmal noch weiter weg.
Magie, dachte Eldon. Wie Pat angenommen hat. Die Phokos beherrschen sie zum Ausgleich dafür, daß sie ohne Arme und Beine geboren worden sind, auf diese Weise verhilft die Natur ihnen zum Überleben. Erneut glitt die Münze auf das Mobil zu, und wiederum applaudierten die im Förstersaal Versammelten.
»Führt er so was jeden Abend vor?« erkundigte Eldon sich bei Mrs. Raub.
»Nein«, gab sie zur Antwort. »Er betreibt verschiedenerlei Kunststückchen. Diese Darbietung habe ich noch nie gesehen, aber natürlich bin ich keineswegs immer hier, ich habe allerhand zu tun, ich leiste meinen Beitrag, um in unserer Gemeinde alles am Laufen zu halten. Bemerkenswert, nicht wahr?«
Bewegung von Gegenständen aus der Ferne, begriff Eldon. Ja, das ist wahrhaftig bemerkenswert. Diesen Burschen müssen wir haben, sagte er sich. Darin kann es nun erst recht keinen Zweifel mehr geben. Wenn Dangerfield gestorben ist – und es ist offensichtlich, daß dieser Fall bald eintreten wird –, werden wir in diesem Phoko eine Erinnerung an ihn haben, eine Wiederverkörperung in Gestalt dieses Phokomelus. Eine lebende Dangerfield-Schallplatte, die wir immer wieder hören können.
»Graust's Ihnen vor ihm?« fragte June Raub nach.
»Nein«, erwiderte Eldon. »Sollte es denn so sein?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie in
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