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Kinder des Holocaust

Kinder des Holocaust

Titel: Kinder des Holocaust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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mein Kind sein, dachte er. Es ist nicht meins, denn vor sieben Jahren hat Bonny sich hier oben in West Marin aufgehalten, während ich in meiner Praxis in Berkeley war. Aber wäre ich an dem bewußten Tag in ihrer Nähe gewesen ... Wer kann bloß hier in der Gegend gewesen sein, als die Sprengköpfe hochgingen? fragte er sich. Wer von uns kann an dem Tag bei ihr gewesen sein? Er verspürte eine besondere Verbundenheit mit dem Mann, wer er auch sein mochte. Wie ihm wohl zumute wäre, überlegte Stockstill, wüßte er von seinem Kind ... beziehungsweise seinen Kindern. Vielleicht komme ich irgendwann dahinter, wer es ist. Ich bringe es nicht fertig, Bonny etwas zu sagen, aber vielleicht verrate ich es ihm.

    10

    Die Einwohner West Marins saßen im Förstersaal und diskutierten die Erkrankung des Mannes droben im Satelliten. In ihrem Eifer, sich dazu zu äußern, fielen sie einander aufgeregt ins Wort. Die Lesung von Der Menschen Hörigkeit hatte bereits angefangen, aber niemand im Saal mochte zuhören; alle redeten mit grimmigen Mienen durcheinander, allesamt äußerst beunruhigt – June Raub nicht ausgenommen –, weil sie begriffen hatten, was es für sie bedeuten müßte, falls der Diskjockey starb.
    »So krank kann er doch nun wirklich nicht sein«, rief Cas Stone, der größte Grundbesitzer in West Marin. »Aber hören Sie mal zu, ich will Ihnen was sagen, was ich noch keinem erzählt habe – ich kenne einen ganz tüchtigen Arzt unten in San Rafael, einen Herzspezialisten. Ich werde ihn zu irgendeinem Sender bringen, dann kann er Dangerfield darüber Auskunft geben, was mit ihm los ist. Und er kann ihm helfen, wieder gesund zu werden.«
    »Aber er hat dort oben doch keine Medizin«, sagte die alte Mrs. Lully, die älteste Person der ganzen Gemeinde. »Ich habe doch selber gehört, wie er einmal gesagt hat, seine verstorbene Frau habe alles aufgebraucht.«
    »Ich habe Chinidin«, gab der Apotheker bekannt. »Wahrscheinlich ist das genau das, was er benötigt. Aber es gibt keine Möglichkeit, um's ihm raufzuschicken.«
    »Soviel mir bekannt ist«, sagte Earl Colvig, der Leiter der Polizeitruppe von West Marin, »will die Armee bei Cheyenne im Laufe des Jahres noch einen Versuch unternehmen, ihn zu erreichen.«
    »Bringen Sie Ihr Chinidin nach Cheyenne«, sagte Cas Stone zum Apotheker.
    »Nach Cheyenne?« greinte der Apotheker. »Es führen kaum noch Straßen durch die Sierras. Ich würde niemals dort ankommen.«
    »Vielleicht ist er gar nicht richtig krank«, sagte June Raub mit möglichst ruhiger Stimme. »Kann sein, er ist durch die Isolation und das Alleinsein während der vielen Jahre dort oben bloß hypochondrisch geworden. Die Art und Weise, wie er jedes einzelne Symptom so ausführlich beschreibt, bringt mich auf diesen Verdacht.« Doch kaum jemand hörte sie. Die drei Abgesandten aus Bolinas, bemerkte sie, waren ungerührt zum Radio hinübergegangen und standen vornübergebeugt daneben, um der Lesung zu lauschen. »Möglicherweise stirbt er nicht«, sagte sie, halb an sich selbst gewandt.
    Daraufhin hob der Brillenmann seinen Blick und starrte sie an. Sie sah in seinem Gesicht einen Ausdruck von Schrekken und Fassungslosigkeit, als sei die Vorstellung, der Mann im Satelliten sei krank und könne sterben, schlichtweg zuviel für ihn. Nicht einmal die Erkrankung seiner Tochter, fand sie, hatte ihn derartig mitgenommen.
    Unter den Leuten am anderen Ende des Saals breitete sich Schweigen aus, und June Raub, die wissen wollte, was los war, spähte hinüber.
    Durch den Eingang war ein blitzblanker, flacher Apparat hereingerollt. Hoppy Harrington war gekommen.
    »Weißt du was, Hoppy?« rief Cas Stone. »Dangerfield sagt, 's stimmt was nicht mit ihm, 's sei vielleicht das Herz.«
    Sämtliche Anwesenden verstummten und warteten darauf, daß der Phokomelus sich dazu äußere.
    Hoppy fuhr zwischen die Leute, an ihnen vorbei und zum Radio; er stoppte sein Mobil und streckte ein Greifwerkzeug aus, drehte feinfühlig am Einstellknopf. Die drei Delegierten aus Bolinas traten respektvoll beiseite. Statikgeräusche schwollen an und dann ab, und von neuem ertönte laut und deutlich Walt Dangerfields Stimme. Es lief noch die Lesung, und Hoppy, mitten auf seinem Fahrzeug, hörte mit eindringlicher Aufmerksamkeit zu. Er und alle anderen Personen im Saal lauschten, ohne ein Wort zu sprechen, bis die Qualität in dem Maße nachließ, wie sich der Satellit aus dem Empfangsbereich entfernte. Danach hörte man wieder nur

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